Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
Bitterkeit, »ich habe ihn gesehen, er stand in der vordersten Reihe des Volkes und hatte einen trefflichen Platz, um nichts zu verlieren, und da das Schauspiel doch sehenswürdig war, so wollte er es gewiß bis zum Schlusse sehen.«
»O, Graf de la Fere,« sprach eine ruhige, wiewohl durch die Eilfertigkeit atemlos gewordene Stimme, »seid Ihr es wirklich, der die Abwesenden verleumdet?« Dieser Vorwurf erschütterte Athos' Herz; da aber der Eindruck, welchen d'Artagnan in den vorderen Reihen des blöden grausamen Volkes auf ihn hervorgebracht hatte, ein tiefer war, so entgegnete er nur:
»Mein Freund, ich verleumde nicht. Man war hier um Euch bekümmert, und ich sagte, wo Ihr gewesen seid, Ihr habt den König Karl nicht gekannt, er war für Euch nur ein Ausländer, und Ihr waret nicht gehalten, ihn zu lieben.« Er reichte seinem Freunde unter diesen Worten die Hand, doch d'Artagnan tat, als bemerkte er Athos' Bewegung nicht, und hielt seine Hand unter dem Mantel. Athos ließ die seinige langsam niedersinken.
»O, ich bin müde,« seufzte d'Artagnan und setzte sich.
»Trinkt ein Glas Porter,« sprach Aramis, indem er vom Tische eine Bouteille nahm und ein Glas füllte, »trinkt, das wird Euch wieder stärken.« –
»Ja, laßt uns trinken,« erwiderte Athos, der, empfindlich ob der Unzufriedenheit des Gascogners, Glas an Glas mit ihm anstoßen wollte.
»Laßt uns trinken und dieses leidige Land verlassen. Ihr wisset, die Feluke erwartet uns! segeln wir noch diesen Abend ab, da wir hier nichts mehr zu tun haben.«
»Ihr habt es sehr eilig, Herr Graf,« sagte d'Artagnan.
»Dieser blutige Boden glüht unter meinen Füßen,« versetzte Athos.
»Der Schnee tut bei mir diese Wirkung nicht,« sprach der Gascogner gelassen.
»Doch, was haben wir denn da noch zu tun,« fragte Athos, »da der König tot ist?«
»Herr Graf,« erwiderte d'Artagnan nachlässig, »nun, seht Ihr denn nicht, daß Ihr in England noch etwas zu tun übrig habt?«
»Nichts, nichts,« sagte Athos, »als an höherer Güte zu zweifeln, und meine eigenen Kräfte zu verachten.«
»Nun denn,« sprach d'Artagnan, »ich, der Armselige, ich, der blutdürstige Maulaffe, der ich mich dreißig Schritt vor das Schafott hingestellt habe, um das Haupt dieses Königs, den ich nicht kenne, besser fallen zu sehen, und der mir auch gleichgültig war, ich bin einer anderen Meinung als der Herr Graf... ich bleibe.« Athos erblaßte ungemein; jeder Vorwurf seines Freundes widerhallte im Grunde seines Herzens.
»Ha, Ihr bleibt in London?« sprach Porthos zu d'Artagnan.
»Ja,« entgegnete dieser... »und Ihr?«
»Ei,« rief Porthos, vor Athos und Aramis ein bißchen verlegen, »ei, wenn Ihr bleibt, so will ich nur mit Euch gehen, da ich mit Euch gekommen bin; ich lasse Euch nicht gern allein in diesem abscheulichen Lande.«
»Dank, mein vortrefflicher Freund! Somit habe ich Euch einen kleinen Vorschlag zu tun, um gemeinsam ein Unternehmen auszuführen, wenn der Herr Graf abgereist sein wird, und wozu mir der Gedanke gekommen ist. während ich jenem Schauspiele, das Ihr kennt, zugesehen habe.«
»Welches?« fragte Porthos.
»Ich will erfahren, wer denn jener maskierte Mann ist, der sich so gefällig angeboten hatte, dem Könige den Hals abzuschneiden.«
»Ein maskierter Mann?« rief Athos.
»Ihr ließet also den Scharfrichter nicht entwischen?«
»Der Scharfrichter befindet sich noch immer im Keller,« erwiderte d'Artagnan, »wo er, wie ich glaube, einige Worte mit den Flaschen unseres Wirtes spricht. Allein Ihr erinnert mich daran.« Er ging zu der Tür und rief: »Mousqueton!«
»Gnädiger Herr,« antwortete eine Stimme, welche aus den Tiefen der Erde zu hallen schien.
»Laßt den Gefangenen frei,« sprach d'Artagnan, »es ist alles vorüber.«
»Jedoch,« sagte Athos, »wer ist denn der Ruchlose, der die Hand an seinen König gelegt hat?«
»Ein Scharfrichter aus Liebhaberei, der übrigens geschickt das Beil führt, denn wie er hoffte,« sagte Aramis, »brauchte er nur einen Streich.«
»Habt Ihr sein Antlitz nicht gesehen?« fragte Athos.
»Er trug eine Maske,« antwortete d'Artagnan.
»Doch Ihr, Aramis, die Ihr neben ihm standet?«
»Ich sah nur einen grauen Bart, der unter der Larve hervortrat.«
»Er ist somit ein Mann von einem gewissen Alter?« fragte Athos.
»O, sprach d'Artagnan, »das hat nichts zu bedeuten. Nimmt man eine Larve vor, so kann man auch einen Bart anbringen.«
»Es tut mir leid,« bemerkte Porthos, »daß ich ihm nicht
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