Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
unglückseligen Lage weder sein Schwert aus der Scheide ziehen, noch die Pistole aus seiner Holster nehmen; er sah den Kolben über seinem Kopfe geschwungen, und schloß schon unwillkürlich die Augen, als de Guiche mit einem Satze auf den Spanier losstürzte und ihm die Pistole an die Kehle hielt. »Ergib dich,« rief er ihm zu, »oder du bist des Todes!« Das Gewehr entfiel den Händen des Soldaten, der sich sogleich ergab. Guiche rief einen seiner Lakaien, übergab ihm den Gefangenen zur Bewachung und befahl, ihm das Gehirn zu zerschmettern, wenn er Miene mache zu entfliehen, sprang dann von seinem Pferde und eilte zu Rudolf hin. »Meiner Seele, Herr,« sprach Rudolf lächelnd, obschon sich in seiner Blässe die unvermeidliche Erschütterung eines ersten Kampfes kundgab, »Ihr bezahlt Eure Schulden schnell, und wollet mir nicht lange verbindlich bleiben. Ohne Euch,« fuhr er mit des Grafen eigenen Worten fort, »wäre ich des Todes, dreimal des Todes.« »Da mein Feind die Flucht ergriff,« versetzte de Guiche, »so ließ er mir alle Freiheit, Euch Beistand zu leisten; doch seid Ihr schwer verwundet? Ich sehe Euch in Blut gebadet.« »Mich dünkt,« antwortete Rudolf, »daß ich etwas wie eine Schramme am Arme habe. Helft mir doch, mich unter dem Pferde hervorzuziehen, und ich hoffe, es wird mich nichts von der Fortsetzung unserer Reise abhalten.«
Herr d'Arminges und Olivain waren bereits abgestiegen und hoben das Pferd auf, das mit dem Tode kämpfte. Es gelang Rudolf, seinen Fuß aus dem Steigbügel und unter dem Pferde hervorzuziehen, und im Augenblick war er wieder auf den Beinen. »Nichts gebrochen?« fragte der Graf von Guiche. »Meiner Treue, nein, dem Himmel sei's gedankt,« sagte Rudolf. »Doch was ist aus den Unglücklichen geworden, welche von den Niederträchtigen gemeuchelt wurden?« »Wir kamen leider zu spät, sie haben sie umgebracht, und ergriffen mit ihrer Beute die Flucht; meine zwei Lakaien stehen dort bei den Leichen.« »Laßt uns untersuchen, ob sie wohl gänzlich tot sind, oder ob man ihnen noch helfen könnte,« sagte Rudolf. »Wir haben zwei Pferde gewonnen, allein ich habe das meinige verloren; nehmt das beste für Euch, und gebt mir das Eurige.« Sie näherten sich der Stelle, wo die Opfer lagen.
Der Vermummte
Es lagen da zwei Männer ausgestreckt; der eine regungslos mit dem Antlitz gegen den Boden, von drei Kugeln durchbohrt und in seinem Blute schwimmend. Der andere, welchen die zwei Lakaien mit dem Rücken an einen Baum lehnten, verrichtete mit erhobenen Augen und gefalteten Händen ein inbrünstiges Gebet. Er war von einer Kugel getroffen worden, die ihm den oberen Schenkelknochen zerschmetterte. Die jungen Männer näherten sich zuerst dem Toten und sahen ihn erstaunt an.
»Das ist ein Priester,« sagte Bragelonne, »er hat die Tonsur. O, die Verfluchten, welche ihre Hand an Gottes Diener legen!« »Kommen Sie hierher, gnädiger Herr,« sagte Urbain, ein alter Soldat, der unter dem Kardinal-Herzog alle Feldzüge mitgemacht hatte. »Kommen Sie hierher - mit jenem andern ist es schon aus, indes dieser hier vielleicht noch zu retten wäre.« Der Verwundete lächelte traurig und sagte: »Mich kann man nicht mehr retten, doch kann man mir im Sterben beistehen.« »Seid Ihr Priester?« fragte Rudolf »Nein, Herr.« »Ich frage nur,« sagte Rudolf, »weil es mir schien, als ob Euer unglücklicher Gefährte ein Mann der Kirche sei.« »Es ist der Pfarrer von Bethune, er brachte die geweihten Gefäße seiner Kirche und den Schatz des Kapitels in Sicherheit, denn der Prinz verließ gestern unsere Stadt, wo vielleicht morgen schon der Spanier einziehen wird. Bei dem Bewußtsein nun, daß feindliche Korps in der Gegend herumstreifen und das Unternehmen gefährden, wagte es niemand, ihn zu begleiten; und so habe ich mich angetragen.« »Und diese Nichtswürdigen haben Euch überfallen, diese Ruchlosen haben auf einen Priester geschossen!« »Ich bin sehr leidend,« sprach der Verwundete und blickte um sich, »und demnach wünschte ich in irgendein Haus gebracht zu werden.« »Wo man Euch Beistand leisten könnte?« fragte de Guiche. »Nein, wo ich beichten könnte.« »Vielleicht seid Ihr aber doch nicht so gefährlich verwundet, als Ihr es meint,« bemerkte Rudolf. »Glauben Sie mir, o Herr,« entgegnete der Verwundete, »es ist da keine Zeit zu verlieren, die Kugel zerschmetterte mir den Schenkelknochen, und drang bis in die Eingeweide.« »Seid Ihr Arzt?« fragte de Guiche. »Nein,«
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