Zwei an Einem Tag
glaubte, aber sie warf einen Blick zur Tür, und er trat rasch zurück. Die Dielen knarrten, als er sinnloserweise in den Küchenbereich schlich, beide Wasserhähne aufdrehte und zur Ablenkung überflüssigerweise Tassen spülte. Einen Augenblick später hörte er ein kurzes Klingeln, als im Schlafzimmer der Hörer des altmodischen Telefons abgenommen wurde, und er drehte das Wasser ab, um die Unterhaltung mit diesem Jean-Pierre zu belauschen. Ein leises Liebesgeflüster auf Französisch. Er spitzte die Ohren, verstand aber kein Wort.
Wieder ein Klingeln, als sie auflegte. Eine Weile später stand sie hinter ihm im Türrahmen. »Mit wem hast du telefoniert?«, fragte er sachlich über die Schulter.
»Jean-Pierre.«
»Und, wie gehts Jean-Pierre?«
»Gut. Prima.«
»Schön. So. Ich zieh mich mal besser um. Wann kommt er noch mal vorbei?«
»Gar nicht.«
Dexter drehte sich um.
»Was?«
»Ich habe ihm gesagt, er soll nicht kommen.«
»Wirklich? Hast du?«
Am liebsten hätte er gelacht –
»Ich habe ihm erzählt, ich hätte ’ne Mandelentzündung.«
– laut aufgelacht, aber er durfte nicht, noch nicht. Er trocknete sich die Hände ab. »Was heißt das? Mandelentzündung. Auf Französisch?«
Sie fasste sich an den Hals. » Je suis très désolée, mais mes glandes sont gonflées «, krächzte sie schwach, » je pense que je peux avoir l’amygdalite .«
»L’amy …?«
» L’amygdalite. «
»Dein Wortschatz ist erstaunlich.«
»Na ja, weißt du«, bescheiden zuckte sie mit den Schultern, »habs nachgeschlagen.« Sie lächelten sich an. Dann, als wäre es ihr gerade erst eingefallen, war sie mit drei schnellen Schritten bei ihm, nahm sein Gesicht, küsste ihn, und er legte ihr die Hände auf den Rücken, entdeckte, dass der Reißverschluss noch offen stand, die nackte Haut noch kühl und feucht vom Duschen war. Sie küssten sich eine ganze Weile. Dann, sie hielt immer noch sein Gesicht, sah sie ihn eindringlich an. »Wenn du mich verarschst, Dexter.«
»Mach ich nicht …«
»Das ist mein Ernst, wenn du mir was vormachst, mich im Stich lässt oder hintergehst, dann schwöre ich bei Gott, ich reiß dir das Herz raus.«
»Das mache ich nicht, Em.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht, ich schwöre.«
Sie runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf, schlang wieder die Arme um ihn, schmiegte das Gesicht an seine Schulter und gab ein Geräusch von sich, das fast wütend klang.
»Was ist los?«, wollte er wissen.
»Nichts. Ach, nichts. Nur …« Sie sah zu ihm auf. »Ich dachte, ich wär dich endlich los.«
»Ich glaube, das kannst du gar nicht«, sagte er.
VIERTER TEIL
2002–2005
Ende dreißig
Sie sprachen sehr selten über ihre Gefühle: hübsche Phrasen und warmherzige Zuneigungsbekundungen erübrigten sich wahrscheinlich zwischen solch bewährten Freunden.
Thomas Hardy, Am grünen Rand der Welt
KAPITEL SECHZEHN
Montagmorgen
Montag, 15. Juli 2002
Belsize Park
Der Radiowecker springt wie immer um 7:05 Uhr an. Draußen ist es schon hell, aber keiner von beiden rührt sich. Sie liegen im Doppelbett der Wohnung in Belsize Park, die vor vielen Jahren eine Junggesellenbude war, er hat ihr den Arm um die Taille gelegt, und ihre Beine sind ineinander verschränkt.
Er ist schon länger wach, grübelt über den Tonfall und die Formulierung nach, die gleichzeitig beiläufig und bedeutungsvoll klingen sollen, und sobald sie sich bewegt, platzt er damit heraus. »Kann ich was sagen?«, murmelt er mit trockenem Mund und geschlossenen Augen in ihren Nacken.
»Schieß los«, sagt sie zögernd.
»Ich finde es verrückt, dass du deine Wohnung behältst.«
Sie lächelt ohne sich umzudrehen. »O-kay.«
»Ich meine, du schläfst sowieso meist hier.«
Sie macht die Augen auf. »Muss ich nicht.«
»Nein, ich will, dass du hier schläfst.«
Sie dreht sich zu ihm um und sieht, dass er die Augen noch geschlossen hat. »Dex?«
»Was?«
»Fragst du mich etwa, ob ich mit dir zusammenziehen will?«
Ohne die Augen zu öffnen lächelt er, nimmt unter der Decke ihre Hand und drückt sie. »Emma, willst du mit mir zusammenziehen?«
»Na endlich!«, murmelt sie. »Dex, darauf habe ich all die Jahre gewartet.«
»Und, heißt das ja?«
»Lass mich drüber nachdenken.«
»Sag Bescheid, ja? Wenn du nicht interessiert bist, suche ich mir vielleicht einen anderen Mitbewohner.«
»Ich sagte, ich denk drüber nach.«
Er macht die Augen auf. Er hatte ein Ja erwartet. »Was gibts da nachzudenken?«
»Ach, ich weiß
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