Zwei an Einem Tag
Podeste wie Couchtische, auf denen sich in unvorteilhaften, orangefarbenen Lichtkegeln die Stripperinnen, Tänzerinnen, Künstlerinnen in diversen Stilrichtungen zu ohrenbetäubender R-’n’-B-Musik bewegen: hier ein träger Jig, dort eine wie hypnotisiert wirkende Pantomimenummer, ein anderes Mädchen vollführt verblüffend hohe Aerobic-Kicks, und alle sind nackt, oder zumindest fast. Unter ihnen sitzen Männer, die meisten im Anzug mit gelösten Krawatten, lümmeln sich mit zurückgelehnten Köpfen in den rutschigen Sitzecken, als hätten sie sich das Genick gebrochen: seine Leute. Dexter schaut sich mit verschwimmender Sicht im Raum um und grinst dämlich, als sich Lust und Scham zu einem betäubenden Rausch vereinen. Er stolpert über die Treppe, hält sich am schmierigen Chromgeländer fest, zupft sich die Hemdsärmel zurecht und geht zwischen den Podesten hindurch zur Bar, wo ihm eine verhärmte Frau mitteilt, dass er kein Einzelgetränk, sondern nur Wodka-oder Champagnerflaschen für 100 Pfund das Stück bestellen kann. Er lacht über diese kühne Halsabschneiderei und reicht ihr schwungvoll seine Kreditkarte, wie um sie zum Schlimmsten herauszufordern.
Er nimmt die Champagnerflasche – polnische Marke, in einem Kübel mit lauwarmem Wasser – und zwei Plastikgläser, trägt sie zu einer schwarzen Samtnische, zündet sich eine Zigarette an und fängt so richtig an, sich zu besaufen. Der »Champagner« ist zuckersüß wie Bonbons, schal und schmeckt nach Apfel, aber das ist ihm egal. Seine Freunde sind jetzt weg, und niemand kann ihm mehr das Glas wegnehmen und ihn mit Gesprächen ablenken, und nach dem dritten Glas nimmt die Zeit diese seltsam dehnbare Qualität an, vergeht langsamer oder schneller, kommt ihm für kurze Momente, wenn ihm schwarz vor Augen wird, ganz abhanden. Er steht kurz davor, einzuschlafen oder bewusstlos zu werden, als er eine Berührung am Arm spürt und sich einem dünnen Mädchen in extrem kurzem, durchsichtigem, rotem Kleid gegenübersieht, deren langes blondes Haar einen Fingerbreit über der Kopfhaut in Schwarz übergeht. »Kriege ich ein Glas Champagner?«, fragt sie und gleitet zu ihm in die Nische. Unter dem dicken Make-up hat sie sehr unreine Haut, und sie spricht mit südafrikanischem Akzent, für den er ihr ein Kompliment macht. »Wunderschöner Akzent!«, versucht er die Musik zu übertönen. Sie schnieft, rümpft die Nase und stellt sich als Barbara vor, als sei »Barbara« der erstbeste Name, der ihr in den Sinn kommt. Sie ist dürr, hat knochige Arme und kleine Brüste, die er unverhohlen anstarrt, was ihr aber nichts auszumachen scheint. Die Figur einer Balletttänzerin. »Bist du Balletttänzerin?«, fragt er, und sie schnieft und zuckt die Achseln. Er hat beschlossen, dass er Barbara wirklich, wirklich gut leiden kann.
»Und was bringt dich her?«, fragt sie routinemäßig.
»Ein Jahrestag!«, sagt er.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagt sie geistesabwesend, schenkt sich Champagner ein und prostet ihm mit dem Plastikglas zu.
»Willst du mich nicht fragen, was für ein Jahrestag?«, sagt er, anscheinend ziemlich undeutlich, denn sie muss ihn dreimal bitten, es zu wiederholen. Vielleicht sollte er es lieber auf direkte Art versuchen. »Meine Frau hatte vor genau einem Jahr einen Unfall«, sagt er. Barbara lächelt und schaut sich nervös um, als bereue sie, sich zu ihm gesetzt zu haben. Es gehört zu ihrem Job, mit betrunkenen Gästen umzugehen, aber dieser hier ist ziemlich durch den Wind, feiert irgendeinen Unfall und jammert endlos unzusammenhängendes Zeug über irgendeinen Fahrer, der nicht aufgepasst hat, und einen Gerichtsprozess, dem sie weder folgen kann noch will.
»Soll ich für dich tanzen?«, fragt sie, um das Thema zu wechseln.
»Was?«, abrupt beugt er sich zu ihr, »was hast du gesagt?« Er hat üblen Mundgeruch und eine feuchte Aussprache.
»Ich fragte, ob ich für dich tanzen soll, dich ein bisschen aufmuntern? Du siehst aus, als könntest dus gebrauchen.«
»Jetzt nicht. Vielleicht später«, sagt er und legt ihr die Hand aufs Knie, das hart und unnachgiebig ist wie ein Treppengeländer. Er redet weiter, aber nicht normal, sondern gibt eine zusammenhanglose Aneinanderreihung rührseliger, bitterer Bemerkungen von sich, die er schon früher gemacht hat – erst 38, wir haben versucht, ein Kind zu bekommen, der Fahrer kam ungeschoren davon, frage mich, was der Mistkerl gerade treibt, nimmt mir die beste Freundin, ich hoffe es geht ihm dreckig,
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