Zwei an Einem Tag
Live-Musik, Exklusiv-Videos, Promi-Interviews, und gut, sie war nicht gerade anspruchsvoll, er musste nur in die Kamera gucken und »Seid ihr gut drauf?« brüllen. Aber er tat es überzeugend, mit so viel Charme und Autorität, und sah dabei unverschämt gut aus.
In der Öffentlichkeit erkannt zu werden, war immer noch eine neue Erfahrung. Ihm war durchaus bewusst, dass er zu einer gewissen »Großkotzigkeit« neigte, wie Emma es nannte, und hatte sich deshalb im Stillen Gedanken gemacht, was er mit seinem Gesicht anstellen sollte. In dem Bemühen, nicht affektiert, großspurig oder gekünstelt zu wirken, hatte er an einem Gesichtsausdruck gearbeitet, der sagte, hey, keine große Sache, ist doch bloß Fernsehen , und den nahm er jetzt an, setzte die Sonnenbrille wieder auf und wandte sich seinem Buch zu.
Amüsiert beobachtete Emma die Vorstellung: Die angestrengte Gleichgültigkeit, das leichte Beben der Nasenflügel und das Lächeln, das um die Mundwinkel spielte. Sie schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn.
»Das steigt dir doch wohl nicht zu Kopf?«
»Was?«
»Ein klitzekleines bisschen prominent zu sein.«
»Ich kann das Wort nicht ausstehen. ›Prominent‹.«
»Oh, und was wäre dir lieber? ›Wohlbekannt‹?«
»Wie wärs mit ›berüchtigt‹?«, grinste er.
»Oder ›nervig‹? Wie stehts mit ›nervig‹?«
»Jetzt mach ma halblang, ja?«
»Kannst du das nicht lassen?«
»Was?«
»Mit Cockney-Akzent zu sprechen. Du warst auf dem Winchester College, verdammt.«
»Ich hab keinen Cockney-Akzent.«
»Wenn du einen auf Fernsehmoderator machst, schon. Klingt, als hättest du eben schnell den Marktstand verlassen, um ’ne piekfeine Sendung zu moderieren.«
»Aber du hast doch auch einen Yorkshire-Akzent.«
»Ich komme ja auch aus Yorkshire!«
Dexter zuckte die Schultern. »Ich muss so sprechen, sonst vergraule ich die Zuschauer.«
»Und was, wenn du mich vergraulst?«
»Tu ich vielleicht, aber du gehörst ja auch nicht zu den zwei Millionen Leuten, die meine Sendung gucken.«
»Ach, jetzt ist es schon deine Sendung?«
»Die Sendung, in der ich auftrete.«
Sie lachte und las weiter. Nach einer Weile sagte Dexter:
»Und, hast du?«
»Was?«
»Mich gesehen. In abfeiern ?«
»Habs ein-oder zweimal eingeschaltet. Als Hintergrundbeschallung bei der monatlichen Abrechnung.«
»Und wie findest dus?«
Sie seufzte und starrte auf das Buch. »So was ist nicht mein Ding, Dex.«
»Sags mir trotzdem.«
»Ich kenn mich mit Fernsehen nicht aus …«
»Sag einfach deine Meinung.«
»Na schön, es ist, wie eine Stunde lang von einem Betrunkenen mit ’nem Stroboskop in der Hand angebrüllt zu werden, aber wie gesagt …«
»Ah, verstehe.« Er sah erst das Buch, dann wieder Emma an. »Und was ist mit mir?«
»Mit dir?«
»Na ja – tauge ich was? Als Moderator?«
Sie nahm die Sonnenbrille ab. »Dexter, du bist der wahrscheinlich beste Moderator für Jugendfernsehen, den dieses Land je gesehen hat, und das ist nicht nur so dahingesagt.«
Stolz stützte er sich auf den Ellbogen. »Eigentlich sehe ich mich eher als Journalisten.«
Lächelnd blätterte Emma um. »Glaub ich dir gerne.«
»Denn das ist es, Journalismus. Ich muss recherchieren, das Interview vorbereiten, die richtigen Fragen stellen …«
Sie legte Zeigefinger und Daumen ans Kinn. »Ja, genau, ich glaube, ich habe dein tiefschürfendes MC-Hammer-Interview gesehen. Echt hart, echt provokant …«
»Klappe, Em …«
»Nein, im Ernst, die Art, wie du Hammer ausgequetscht hast, über seine musikalischen Inspirationen, seine Ballonhosen, du hast jedes heiße Eisen angefasst. You can’t touch this , von wegen.«
Er schlug mit dem Buch nach ihr. »Halt den Mund und lies weiter, klar?«, dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Emma vergewisserte sich, dass er lächelte, und lächelte auch.
Der Vormittag brach an, und während Dexter schlief, sah Emma ihr Ziel: eine blaugraue Granitmasse, die aus dem klarsten Meerwasser ragte, das sie je gesehen hatte. Sie war immer der Überzeugung gewesen, solches Wasser sei eine Lüge der Werbebroschüren, ein mit Linsen oder Filtern erzielter Effekt, aber jetzt sah sie es leibhaftig vor sich, smaragdgrün und funkelnd. Auf den ersten Blick wirkte die Insel unbewohnt bis auf eine Ansammlung von Häusern in der Farbe von Kokosnusseis rings um den Hafen. Bei dem Anblick musste sie leise lachen. Reisen war für sie immer alles andere als angenehm gewesen. Bis zu ihrem sechzehnten
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