Zwei an Einem Tag
Dexter, aber ich will nicht bei den Medien arbeiten. Ich weiß, heutzutage sollten alle ganz versessen auf einen Job bei den Medien sein, als wären die Medien das Nonplusultra …« Du klingst hysterisch , dachte sie, eifersüchtig und hysterisch. »Eigentlich weiß ich nicht mal, was die Medien überhaupt sind …« Halt die Klappe, bleib ruhig . »Ich meine, was tut ihr denn schon den ganzen Tag außer rumstehen, Mineralwässerchen trinken, euch zudröhnen und eure Familienjuwelen fotokopieren …«
»He, das ist harte Arbeit, Em …«
»Ich meine, wenn man, keine Ahnung, Krankenschwestern, Sozialarbeiter oder Lehrer mit demselben Respekt behandeln würde wie die gottverdammten Medienfuzzis …«
»Dann werd doch Lehrerin! Du wärst ’ne fantastische Lehrerin …«
»Ich möchte, dass du an die Tafel schreibst: ›Ich darf meiner Freundin keine Karrieretipps geben!‹« Sie sprach zu laut, schrie fast, und ein langes Schweigen folgte. Wieso benahm sie sich so? Er wollte doch nur helfen. Was hatte er denn schon von ihrer Freundschaft? Er sollte einfach aufstehen und gehen, das sollte er. Sie drehten sich zueinander, und ihre Blicke trafen sich.
»Tut mir leid«, sagte er.
»Nein, mir tuts leid.«
»Was denn?«
»Auf dich loszugehen wie eine … Furie. Ich bin müde, ist nicht mein Tag. Sorry, dass ich so … öde bin.«
»Du bist überhaupt nicht öde.«
»Doch, bin ich, Dex. Gott, ich schwör dir, manchmal langweile ich mich schon selbst.«
»Also, mich nicht.« Er nahm ihre Hand. »Das könntest du gar nicht. Jemanden wie dich findet man nur einmal, Em.«
»Ach was, an jeder Straßenecke.«
Er stupste sie mit dem Fuß an. »Em?«
»Was?«
»Akzeptiere das Kompliment einfach, ja? Halt den Mund und akzeptiere es.«
Ihre Blicke trafen sich. Dann legte er sich wieder hin, und als sie es ihm kurz darauf gleichtat, zuckte sie leicht zusammen, als sie seinen Arm unter ihren Schultern spürte. Nach einem kurzen, verlegenen Moment beiderseitigen Unbehagens rollte sie sich auf die Seite und schmiegte sich an ihn. Er nahm sie fest in den Arm und murmelte ihr ins Haar: »Weißt du, was ich nicht kapiere? Alle möglichen Leute sagen dir ständig, wie toll, klug, witzig und talentiert du bist, ich meine, die ganze Zeit, ich sags dir schon seit Jahren. Warum glaubst dus nicht endlich? Was meinst du, warum die Leute dir dieses Zeug sagen, Em? Glaubst du, es ist eine Verschwörung, und sie tun sich hinter deinem Rücken zusammen, um nett zu dir zu sein?«
Sie drückte ihm den Kopf an die Schulter, damit er aufhörte, weil sie sonst losgeheult hätte. »Du bist lieb. Aber ich muss jetzt los.«
»Nein, bleib noch. Wir holen uns ’ne neue Flasche.«
»Wartet Noami nicht irgendwo auf dich? Den Mund voller Drogen wie ein kleiner zugedröhnter Hamster?« Sie blies die Backen auf, Dexter lachte, und sie fühlte sich besser.
Sie blieben noch eine Weile liegen, kamen nach einem Abstecher zum Spirituosenladen zum Hügel zurück, betrachteten den Sonnenuntergang über der Stadt, tranken Wein und aßen dazu nur eine große Tüte teurer Chips. Seltsame Tierschreie hallten vom Regent’s Park Zoo herüber, und schließlich waren sie allein auf dem Hügel.
»Ich sollte nach Hause gehen«, sagte sie und stand schwankend auf.
»Du kannst bei mir bleiben, wenn du willst.«
Emma dachte an die Heimfahrt, die Northern Line, das Oberdeck des N38-Busses, dann der lange, gefährliche Fußmarsch zu der aus unerfindlichen Gründen nach gebratenen Zwiebeln riechenden Wohnung. Wenn sie endlich zu Hause ankam, war die Zentralheizung bestimmt bis zum Anschlag aufgedreht, und Tilly Killick würde mit offenem Bademantel wie ein Gecko an einem Heizkörper kleben und Pesto aus dem Glas löffeln. Im Kühlschrank würde ein angebissener irischer Cheddar liegen, im Fernsehen würde Thirtysomething laufen – sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen.
»Ich leih dir ’ne Zahnbürste?«, sagte Dexter, als lese er ihre Gedanken. »Du schläfst auf dem Sofa?«
Emma malte sich aus, wie sie die Nacht auf dem quietschenden, schwarzen Ledermodulsofa verbringen und sich ihr vor lauter Alkohol und Verwirrung der Kopf drehen würde, und entschied, das Leben sei schon kompliziert genug. Sie fasste einen Entschluss, wie sie es im Augenblick fast täglich tat. Keine Übernachtungen, keine Gedichte und keine Zeitverschwendung mehr. Zeit, mit deinem Leben aufzuräumen. Zeit für einen Neuanfang.
KAPITEL FÜNF
Spielregeln
Mittwoch, 15. Juli 1992
Die
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