Zwei an Einem Tag
Lebensjahr hatte sie jedes Jahr beim zweiwöchigen Wohnwagenurlaub in Filey mit ihrer Schwester im Clinch gelegen, während ihre Eltern sich regelmäßig die Kante gaben und in den Regen hinausstarrten, eine Art grausames Experiment über die Auslotung der Grenzen zwischenmenschlicher Nähe. Während des Studiums hatte sie mit Tilly Killick einen Campingausflug in die Cairngorm-Berge gemacht, sechs Tage in einem Zelt, das nach Tütensuppe roch, ein spaßiger Urlaub nach dem Motto »So furchtbar, dass es wieder lustig ist«, der sich am Ende aber doch als nur furchtbar entpuppte.
Jetzt stand sie an der Reling, und während die Stadt immer deutlicher in Sicht kam, begann sie den Sinn des Reisens zu begreifen: Emma hatte sich noch nie so weit weg vom Waschsalon, dem Oberdeck des Nachtbusses nach Hause und von Tillys Abstellraum gefühlt. Die Luft schien hier irgendwie anders zu sein; nicht nur der Geruch, sondern die ganze Beschaffenheit. Durch Londoner Luft starrte man wie durch eine schmierige Aquariumscheibe. Hier war alles hell und scharf, sauber und klar.
Als sie einen Kameraverschluss klicken hörte, drehte sie sich um und sah gerade noch, wie Dexter sie wieder fotografierte. »Ich sehe schrecklich aus«, sagte sie reflexartig, obwohl das vielleicht nicht stimmte. Er stellte sich hinter sie und legte die Arme neben ihre auf die Reling.
»Wunderschön, nicht?«
»Ganz nett«, sagte sie und konnte sich an keinen glücklicheren Moment erinnern.
Sie gingen von Bord – zum allerersten Mal hatte sie wirklich das Gefühl, von Bord zu gehen – und fanden sich sofort inmitten hektischer Betriebsamkeit auf dem Kai wieder, wo die Jagd der Urlauber und Rucksacktouristen auf die besten Unterkünfte begann.
»Und was machen wir jetzt?«
»Ich such uns was. Du wartest im Café, bis ich dich holen komme.«
»Etwas mit Balkon.«
»Ja, Ma’am.«
»Und mit Meerblick, bitte. Und einem Schreibtisch.«
»Mal sehen, was sich machen lässt«, sagte er und schlenderte mit schlappenden Sandalen zu der Menge am Kai.
Sie rief ihm nach: »Und nicht vergessen!«
Dexter drehte sich um und sah sie an der Kaimauer stehen, sie hielt den breitkrempigen Hut auf ihrem Kopf fest, die laue Brise umspielte ihren Körper in dem hellblauen Sommerkleid. Sie trug keine Brille mehr, und zum ersten Mal bemerkte er ein paar vereinzelte Sommersprossen auf ihrer Brust, wo die nackte Haut am Ausschnitt von Rosa in Braun überging.
»Die Regeln«, sagte sie.
»Was ist damit?«
»Wir brauchen zwei Zimmer. Klar?«
»Absolut. Zwei Zimmer.«
Lächelnd verschwand er in der Menge. Emma sah ihm nach, dann schleppte sie die beiden Rucksäcke den Kai entlang zu einem kleinen, windschiefen Café. Aus ihrer Tasche nahm sie einen Füller und ein teures Notizbuch mit Stoffeinband heraus, ihr Reisetagebuch.
Emma schlug die erste leere Seite auf und überlegte, was sie aufschreiben konnte, irgendeinen Eindruck oder eine Beobachtung, außer, dass alles gut war. Alles war gut, und sie machte die seltene, neue Erfahrung, genau da zu sein, wo sie sein wollte.
Dexter und die Pensionswirtin standen inmitten eines kahlen Zimmers: weißgetünchte Wände, kühler Steinboden, leer bis auf ein riesiges schmiedeeisernes Doppelbett, einen kleinen Schreibtisch, einen Stuhl und ein paar Trockenblumen in einem Weckglas. Durch die lamellierte Doppeltür betrat er den großen Balkon, der auf die Bucht hinausging und in der Farbe des Himmels gestrichen war. Es war, wie auf eine fantastische Bühne zu schreiten.
»Wie viele sind Sie?«, fragte die Pensionswirtin, Mitte 30 und recht attraktiv.
»Zwei.«
»Und für wie lange?«
»Weiß noch nicht, fünf Nächte, vielleicht länger?«
»Hier ist perfekt, denke ich?«
Dexter setzte sich auf das Doppelbett und wippte probeweise. »Aber meine Freundin und ich, wir sind nur, na ja, gute Freunde. Wir brauchen zwei Zimmer?«
»Ah. Okay. Ich habe zweites Zimmer.«
Emma hat diese Sommersprossen auf der Brust, die mir noch nie aufgefallen sind, direkt über dem Ausschnitt.
»Sie haben also zwei Zimmer?«
»Ja, natürlich, ich habe zwei Zimmer.«
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Schieß los«, sagte Emma und klappte das Notizbuch zu.
»Tja, ich habe was Tolles gefunden, mit Meerblick und Balkon, etwas weiter oben im Dorf, ruhig gelegen, falls du schreiben willst, es gibt sogar einen kleinen Schreibtisch, und es ist für die nächsten fünf Tage frei, länger, wenn wir wollen.«
»Und die schlechte
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