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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Elizabeth Philpot war eifersüchtig, weil ich so viel Aufmerksamkeit von Colonel Birch bekam. Wie konnte sie nur? Sie hatte nie ihre Möbel verkaufen oder verbrennen müssen, um ein Dach über dem Kopf und es warm zu haben. Sie hatte mehrere Tische und nicht nur einen einzigen. Sie ging nicht bei jedem Wetter und Gesundheitszustand hinaus, um stundenlang und bis ihr der Kopf brummte, Kuris zu suchen. Sie hatte keine Frostbeulen an Händen und Füßen, keine eingerissenen Fingerkuppen, die vom Lehm, der sich darin eingegraben hatte, grau waren. Und Nachbarn, die hinter ihrem Rücken über sie redeten, hatte sie auch nicht. Sie hätte Mitleid mit mir haben sollen, stattdessen beneidete sie mich.
    Einen Moment lang schloss ich die Augen und hielt mich am Grabstein fest. «Warum freuen Sie sich nicht für mich?», fragte ich. «Warum können Sie nicht sagen: ‹Ich wünsche Dir, dass Du sehr glücklich wirst?›»
    «Ich …» Miss Elizabeth schluckte, als würden die Worte ihr im Hals stecken bleiben. «Ja, das wünsche ich dir», brachte sie schließlich heraus, es klang ganz erstickt. «Aber ich will nicht, dass du dich lächerlich machst. Ich will, dass du Vernunft annimmst und darüber nachdenkst, was für dich möglich ist.»
    Ich riss die Flechte vom Stein. «Sie sind eifersüchtig auf mich.»
    «Das bin ich nicht!»
    «Doch, sind Sie. Sie sind eifersüchtig, weil Colonel Birch mir den Hof macht. Sie haben ihn geliebt, und er hat Sie nicht beachtet.»
    Miss Elizabeth sah mich an, als hätte ich sie geschlagen. «Bitte, hör auf.»
    Doch in mir schien sich ein Fluss aufgestaut zu haben, der jetzt über seine Ufer trat. «Er hat Sie noch nicht mal angeschaut. Nicht ein einziges Mal. Weil er mich gewollt hat! Ist doch klar. Ich bin jung, und ich habe den richtigen Blick. Sie mit Ihrer ganzen Bildung, Ihren hundertfünfzig Pfund im Jahr, Ihrem Holundersirup, Ihren dämlichen Tonikums und Ihren albernen Schwestern mit den Turbans und Rosen. Und mit Ihren Fischen! Wen interessieren denn Fische, wenn man in den Klippen Riesenbestien finden kann? Aber Sie werden die nicht finden, denn Sie haben nicht den richtigen Blick. Sie sind eine vertrocknete alte Jungfer, die niemals einen Mann bekommen wird. Und auch kein Riesentier. Aber ich.» Es fühlte sich so gut und schrecklich an, das alles laut zu sagen, dass ich glaubte, mir würde im nächsten Moment übel werden.
    Miss Elizabeth stand wie erstarrt da. Sie sah aus wie jemand, der darauf wartet, dass eine Windbö sich austobt. Als es so weit war und ich alles gesagt hatte, holte sie tief Luft. Was dann aber herauskam, war kaum mehr als ein kraftloses Flüstern. «Ich habe dir einmal das Leben gerettet und dich aus dem Lehm gezogen. So zahlst du es mir also zurück.»
    Der Wind nahm noch einmal Kraft auf und schwoll zum Orkan an. Ich brüllte so laut und wütend, dass Miss Elizabeth zurückwich. «Ja, Sie haben mir das Leben gerettet! Und ich werde mein Leben lang die Last spüren, Ihnen dankbar sein zu müssen. Was ich auch mache, ich werde Ihnen immer unterlegen sein. Und wenn ich noch so viele Riesenbestien finde und Geld verdiene, niemals werde ich Ihre gesellschaftliche Stellung haben. Warum können Sie mir dann nicht wenigstens Colonel Birch lassen? Bitte?» Jetzt weinte ich.
    Miss Elizabeth blickte mich aus ihren ruhigen grauen Augen fest an, bis meine Tränen versiegt waren. «Ich entbinde dich von der Last deiner Dankbarkeit, Mary», sagte sie. «Wenigstens das kann ich für dich tun. Ich habe dich an jenem Tag ausgegraben, wie ich jeden anderen Menschen ausgegraben hätte. Und jeder, der statt meiner vorbeigekommen wäre, hätte das Gleiche getan.» Sie hielt inne, und ich sah, dass sie überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte: «Aber eins muss ich dir sagen», fuhr sie schließlich fort, «nicht, um dich zu verletzen, sondern um dich zu warnen. Wenn du irgendetwas von Colonel Birch erwartest, wirst du enttäuscht werden. Vor der Auktion hatte ich Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Wir sind uns zufällig im Britischen Museum begegnet.» Sie machte eine Pause. «Er begleitete eine Dame. Eine Witwe. Sie schienen sich nahezustehen. Ich erzähle dir das, damit du dir keine Hoffnungen machst. Du bist ein Mädchen aus der Arbeiterklasse, mehr als du jetzt hast, kannst du nicht erwarten. Mary! Geh nicht weg!»
    Doch ich hatte mich bereits umgedreht und begann zu rennen. Ich rannte vor ihren Worten weg, so schnell ich konnte.
    * * *
    Als die nächste Kutsche aus

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