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Zwei Esel Auf Sardinien

Titel: Zwei Esel Auf Sardinien Kostenlos Bücher Online Lesen
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streichelt unsere Gesichter, und wir erwidern gern ihre Liebkosungen. Ein unbeschreibliches Gefühl. Jetzt haben wir schon über einen Tag nicht auf ihnen gesessen, und da fehlen sie uns bereits. Was für eine Szene! Erst die Wolken, dann der Regen und das Gewitter und wir vier unter einem Netz, das wir zum Schutz über uns gebreitet haben.
    Wir küssen uns. Diesmal mit Leidenschaft. Wie im Film. Diese ganze Reise ist wie ein Film, und das könnte die letzte, die Schlüsselszene sein, in der sich die Helden heftig und leidenschaftlich im Regen küssen. In diesem Moment muss ich an den Kuss aus Frühstück bei Tiffany’s denken, wo sie sich ganz zum Schluss verzweifelt küssen, während es wie aus Eimern gießt. Aber das hier ist kein Film, und unser Kuss dauert auch nicht sehr lange, weil ich niesen muss: Hatschiii! Wenn es weiter so schüttet, werden wir noch krank, und wenn Valdes uns nicht holen kommt, müssen wir die ganze Nacht mit nassen Klamotten und Haaren herumlaufen.
    »So holen wir uns noch Schnupfen, Husten und eine Lungenentzündung obendrein!«
    Während es weiter regnet und donnert, fällt mir nichts Besseres ein, um die Zeit zu vertreiben, als mit lauter Stimme jede Menge Blödsinn über berühmte Küsse im Regen vor mich hin zu monologisieren.
    »Der dauert ja nicht nur zwei Minuten … nein … da ist ja noch der ganze Streit vorher im Taxi, ungefähr eine Minute lang, dann der intensive Blick, wenn sie aus dem Taxi steigen … das ist noch einmal eine Minute … dann die zwei Minuten im strömenden Regen, und Audrey Hepburn muss auch schön niesen. Dann, warte, kommt die Szene … Haatschii!«
    »Gesundheit!«
    »Danke, und denk doch nur an diese andere Feuchtküsserei mit Tom Hanks und Helen Hunt in Cast away  …«
    »Lustig war das in Vier Hochzeiten und ein Todesfall .«
    »Phhh, noch lustiger war der in Spider-Man , wo sie ihn küsst, während er kopfüber hängt!«
    »Na ja, unser Kuss könnte auch ganz schön romantisch sein, wenn du dir nur diese großen Tropfen unter der Nase abwischen würdest!«
    »Weißt du, Jutta, was die Stimme aus dem Off am Anfang von The Portrait of a Lady mit Nicole Kidman erzählt? ›Der schönste Moment eines Kusses ist, wenn du siehst, wie sein Gesicht immer näher kommt und du begreifst, dass er dich gleich küssen wird. Dieser Augenblick davor ist etwas Wunderbares.‹«
    Von Nordwesten kommt ein heftiger Wind auf.
    »Spürst du den Mistral, amore ? Der alles fortweht, auch die Traurigkeit.«
    Unser Kuss wird wieder leidenschaftlicher. Plötzlich versucht Jutta, sich aus meiner Umarmung zu lösen, als ob sie etwas gesehen hätte. Sie holt Luft und will mir etwas sagen, aber ich verstehe sie nicht beziehungsweise verstehe sie falsch. Ich komme noch näher, ziehe sie fest an mich und verschließe ihr die Lippen mit einem neuerlichen Kuss. Wie überwältigt weicht sie vor mir zurück. Mit einer Hand wühle ich ungeschickt in ihren feuchten Haaren. Wieder suchen meine Lippen die ihren, aber nicht mehr zärtlich, sondern wie ausgehungert. Nicht einmal das Phantom der Oper hätte das besser hingekriegt. Ich sehe, wie sich ihre Augen weiten, als sähe sie das abscheulichste Monster auf Erden vor sich. Fast schon glaube ich, dass ich sie mit meiner Glut erschreckt habe. Doch ihr letzter Schrei ist mehr als deutlich:
    » FERRU IST WEG ! ER IST WIEDER AUSGEBÜXT !«
    Ich glaube fest daran, dass der Esel nicht allzu weit fortgelaufen ist. Die hohen Schornsteine dort hinten werden wohl zu dem Zementwerk gehören, auf das Yassouf vorhin so geschimpft hat. Der verdammte Staub, der dort entsteht, legt sich auf alle Pflanzen in der Gegend und richtet an den Olivenbäumen gewaltigen Schaden an. Die angeschlossenen Gruben, in denen Kalk und Sand abgebaut wird, verschandeln die Landschaft und vernichten auf dramatische Weise das kulturelle Erbe dieser Insel. Wieder so ein Fall in unserem Italien, wo alles wirtschaftlichen und politischen Interessen geopfert wird. Vielleicht sollte ich da nach ihm suchen? Die Hügel sind dicht mit Steineichenwäldern und Buschwerk von Myrte bewachsen. Die Gegend hier ist völlig verlassen. Ich bin mutterseelenallein in der feierlichen Stille dieses Abends.
    » FERRU ! FERRU !«
    Nichts. Nicht einmal ein »Ii-aah« aus weiter Ferne. Jetzt sehe ich das Zementwerk deutlich vor mir liegen. Aus einem der Schornsteine quillt noch Rauch. Lastwagen parken vor dem Haupttor. Jemand hat mal gesagt, auf Sardinien könne man wie im Paradies leben.

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