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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Verstand sagte »Geh!«, aber mein Gefühl schrie »Bleib!«, und das verwirrte mich so, dass ich einfach nur sitzen blieb. Dann geschah es. Die Holzbohlen krachten anders als die Male davor, und zugleich hörte ich einen kurzen Aufschrei, dann war es still. Zuerst glaubte ich, mir das nur eingebildet zu haben, und spitzte atemlos die Ohren. Als es aber nachhaltig still blieb, rannte ich in den Ballettsaal.
    Nicholas lag zusammengekrümmt neben dem Flügel, und auf dem Flügel stand eine leere Cognacflasche. Da ich annahm, dass er damit in der vergangenen Stunde seinen Flüssigkeitshaushalt reguliert hatte, wunderte es mich nicht, dass er umgefallen war. »Hast du dir wehgetan?«, sprach ich ihn ängstlich an.
    Er antwortete mir nicht. Er lag nur da, und sein ganzer Körper zitterte, und dabei stieß er merkwürdige Laute aus.
    »Nicholas! … Was ist denn? …«
    Mindestens dreimal fragte ich das, und dabei wurde ich bei jedem Mal unruhiger. Endlich drehte er dann den Kopf zu mir und sah mich an. Seine Augen waren rot und verquollen, aus seiner Nase tropfte es, sein Mund war verzerrt … er weinte. Er weinte wie ein kleiner Junge, und so etwas hatte ich noch nie gesehen. Männer weinen nicht, so hatte ich es gelernt. Umso größer war die Wirkung dieser Tränen. Sie lösten meine Verkrampfung, und sie nahmen mir meine Hilflosigkeit, und sie ließen all die Zärtlichkeit in mir aufbrechen, die ich über Wochen und Monate in mir bewahrt und eben noch so mühsam bezwungen hatte.
    »Hilf mir«, schluchzte Nicholas, »… bitte, … bitte hilf mir …«
    Dabei streckte er mir seine Hand entgegen, und so schien es mir das Selbstverständlichste von der Welt zu sein, dass ich mich zu ihm auf den Boden hockte. Sofort klammerte er sich an mich, und ich spürte, wie seine Tränen durch den Stoff meiner Bluse drangen. Zuerst machte mir das noch Angst, denn ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Doch dann sah ich, was für ein unendlich großer Schmerz in seinen Augen lag, sah, wie sehr er zitterte, hörte, wie laut er schluchzte, spürte, wie fest er seinen Kopf gegen meine Brust presste, und da hatte ich keine Angst mehr. Ganz fest nahm ich ihn in die Arme und streichelte ihn, und da seine Traurigkeit auch mich traurig machte, musste ich unwillkürlich mit ihm weinen.
    »Es tut mir so Leid«, wimmerte ich, »es tut mir so schrecklich Leid!«
    Und dann sagte ich ihm all das, was ich so lange verschwiegen hatte. Dass ich ihn liebte. Und dass ich ihn liebte. Und … dass ich ihn liebte.
    Nicholas hörte mir andächtig zu. Er schmiegte sich mit jedem Wort, das ich sagte, mehr und mehr an mich, und zu guter Letzt hörte er sogar auf zu weinen und lächelte mich an.
    »Wirklich?«, fragte er leise.
    Ich nickte. »Ja.«
    Da küsste er mich. Er küsste mich, wie Männer Frauen küssen, die sie haben wollen. So etwas hatte ich noch nie erlebt, und es machte mir Angst. Es machte mich aber auch glücklich, und deshalb ließ ich es zu, ließ zu, dass er begann, die Knöpfe meiner Bluse zu öffnen und nach meinen Brüsten zu greifen, ließ zu, dass er mir mit seiner Hand unter meinen Rock ging, mit seinen Fingern meine Schamhaare und mehr berührte, und ich spürte, noch während ich es zuließ, wie sehr mir all das gefiel, wie schön es war, wunderschön.
    »Isa … Isa … Isa …«
    Er lallte vom vielen Alkohol, aber trotzdem verstand ich es ganz genau, dieses »Isa«, diese Abkürzung für Isabelle. Es tat mir unendlich weh. Ich fühlte mich plötzlich so lächerlich und so gedemütigt, und am liebsten hätte ich laut geschrien, wäre aufgesprungen und davongelaufen. Das ging aber nicht. Dazu hatte Nicholas mich viel zu fest im Griff, und dazu war seine Begierde, diese Begierde einer Verwechslung, auch viel zu groß. Außerdem fing er plötzlich selbst an zu verstehen. Ganz langsam bahnte sich seine Wahrnehmungsfähigkeit einen Weg durch seine Trunkenheit, und dabei sah er mich an wie ein Kind, das voller Erstaunen aus einem Traum erwacht, den es für Wirklichkeit hielt.
    »Du …« stammelte er, »… du … du bist nicht Isa?!«
    Ich schluckte, wagte aber nicht zu antworten.
    Ich wollte nur noch weg. Ich wollte diesen Raum verlassen und das, was in diesem Raum geschehen war, vergessen. Nie wieder wollte ich mich daran erinnern. Also versuchte ich aufzustehen. Doch Nicholas hielt mich nach wie vor ganz fest.
    »O Gott!«, stieß er aus und rüttelte mich, dass mein ganzer Körper schmerzte, »oh Gott …!!«
    Ich wimmerte

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