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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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nichts umsonst gewesen. Das Warten, Hoffen und Sehnen hatte doch noch einen Sinn gehabt, das Leiden sollte sich lohnen.
    Dass das eine sehr egoistische Beurteilung der ganzen Tragödie war, war mir durchaus klar, und deshalb schämte ich mich auch in gewisser Weise dafür. Mehr noch, es tat mir weh, dass dieser Mann für das, was mich erleichterte, nun seinerseits leiden musste, denn wenn ich mir auch nicht vorstellen konnte, was in dieser Stunde in Nicholas vorgehen mochte, so konnte ich mir doch vorstellen, dass es schrecklich sein musste.
    Ich nahm mir aber vor, seinen Schmerz zu lindern, und als ich mich auf den Weg zum Aufwärmtraining machte, war ich wild entschlossen, ihm zu helfen und ihn zu trösten.
    Erst als ich ihn dann leibhaftig vor mir sah, stellte ich fest, dass das wohl gar nicht so einfach sein würde. Er war nämlich stockbetrunken, torkelte von einer Seite des Ballettsaals zur anderen und beschimpfte den Korrepetitor.
    »Du spielst viel zu langsam, du Arsch! Das is en Tempo für Weiber.«
    Der Mann am Klavier nahm den Vorwurf gelassen hin und spielte schneller. Am liebsten hätte ich losgeheult. Ich sehnte mich nach der Rolle einer barmherzigen Samariterin, aber der Mann, den ich wieder aufrichten wollte, hatte offenbar schon im Alkohol seinen Tröster gefunden. Es dauerte mindestens zehn Minuten, bis ich das verkraftet hatte. Danach redete ich mir ein, Nicholas wäre eben ein Mann, und Männer lösten ihre Probleme nun mal auf diese Art. Deshalb wollte er wohl auch trotz seines desolaten Zustands unbedingt seine Pflicht tun. Das fand ich zwar lobenswert, doch ängstigte mich schon der Gedanke daran. Unser Pas de deux enthielt zahlreiche Hebungen, und als ich neben Nicholas im Aufzug stand, hatte ich für einen kurzen Moment die Vision, ein frühes Ende im Orchestergraben zu finden. Mein Held hielt nämlich auch jetzt einen Flachmann mit Cognac in der Hand, damit er unentwegt nachladen konnte. Mit der freien Hand trommelte er ebenso unentwegt auf die Etagenknöpfe des Lifts.
    »Mist-Ding! Der fährt nicht, der Scheiß-Kasten, der schleicht! Kaputtschlagen sollte man den!«
    Obwohl das grobschlächtig klang und aussah, weckte es eine Zärtlichkeit in mir, die ich bisher noch nie erlebt hatte. Mir war, als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben der Verzweiflung begegnen, der todtraurigen Machtlosigkeit in Gestalt eines Menschen. Als mir das bewusst wurde, hätte ich Nicholas am liebsten umarmt. Ich wollte ihn streicheln, aber ich fürchtete, so etwas wäre eines Mannes nicht würdig, und deshalb beherrschte ich mich. Was ich mir damit antat, hatte etwas von einem Gewaltakt, aber ich hielt durch, und gemeinsam hielten Nicholas und ich den Csárdás durch. Er arbeitete zwar mit arger Schlagseite, aber wir brachten es trotzdem ohne nennenswerten Zwischenfall hinter uns.
    Dann standen wir wieder im Aufzug. Nach dem anstrengenden Pas de deux war Nicholas nun völlig erschöpft, er konnte kaum mehr auf seinen Beinen stehen.
    »Scheiß-Sauferei!«, gurgelte er vor sich hin. »Mir ist so schlecht, ich könnte kotzen, verflucht!«
    Es dauerte mindestens zwei Stockwerke, bis ich wagte, darauf zu reagieren.
    »Soll ich dir einen Kaffee holen?«, fragte ich dann. »Oder Wasser?«
    Er lachte leise auf. »Einen Strick kannst du mir holen.«
    »Aber nein …!«
    Meine Stimme klang wohl so sanft, dass seine Augen langsam von unten nach oben an mir längs glitten. Es lag unendlich viel Ungläubigkeit in diesem Blick, Hilflosigkeit, Einsamkeit. Da war aber auch so etwas wie Zorn, wie Bösartigkeit, Brutalität. Ich versuchte daraufhin zu lächeln, aber es gelang mir nicht. Nicholas aber grinste nur. Sein Gesicht verzog sich zu einer bösen Grimasse, und er meinte: »Du bist auch bloß ein Flittchen wie die anderen …«
    Mir blieb nicht die Zeit, diesen Satz zu verdauen oder gar zu beklagen, denn fürs Erste blieb das Nicholas’ letztes Wort, und vor der Garderobe trennten wir uns. Ich verschwand, um mich anzuziehen, er lief grußlos in den Ballettsaal. Über eine Stunde hörte ich, wie er sich dort abreagierte, wie er sprang und drehte, sprang, drehte … und ich saß an meinem Schminktisch und weinte, wie Backfische weinen, wenn sie schon fühlen wie eine Frau, sich aber noch benehmen wie ein Kind.
    Mittlerweile waren die anderen längst gegangen, nur ich saß immer noch da. Den Mantel in der Hand, lauschte ich den Geräuschen, die aus dem Ballettsaal drangen, und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Mein

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