Zwei Frauen: Roman (German Edition)
verkraften als die eigentliche Erkenntnis, dass ich seit Nicholas tödliche Angst hatte, meine Gefühle zu zeigen und mich damit lächerlich zu machen.
Ich verleugnete also einfach all das, was jemals an mir weich und verträumt, liebevoll und zugänglich gewesen war, verschloss es in mein Innerstes und versuchte auf zwei Arten, diesen kostbaren Schatz nach allen Seiten abzusichern! Einerseits stürzte ich mich voll in meine Arbeit, bei der dank Frau Gruber für Gefühle ohnehin kein Platz blieb, und andererseits entwickelte ich das, was als »Klapperschlangen-Charme« allüberall Geschichte machte. Um mich herum errichtete ich eine Mauer aus Zynismus, die nur ein Verbalakrobat mit der gleichen rhetorischen Bösartigkeit hätte überwinden können. Den gab es aber nirgends.
So konnte ich getrost im Rund meines selbst errichteten Gefängnisses meine Wunden lecken, indem ich die Eva, die sich nach allem wertlos und schmutzig fühlte, mit kostbaren Kleidern und vor allem mit kostbarer Nachtwäsche behängte.
»Und das alles wegen dieser einen Nacht?«, fragte ich Daniela, nachdem wir uns zu diesem Punkt vorgearbeitet hatten. »Alles wegen Nicholas?«
»Nein!«, erwiderte sie ruhig. »Das war nur der Auslöser. Wenn wir die wirklichen Ursachen finden wollen, müssen wir weiter zurückgehen, viel weiter.«
Obwohl ich es anfangs nicht wahrhaben wollte, musste ich bald schon erkennen, dass ich ein unglückliches Kind gewesen war und ein ebenso unglücklicher Teenager. Man hatte mich nicht aufwachsen lassen, sondern man hatte mich dressiert. Die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens waren eine reine Lehrzeit gewesen, in der unerwünschte Verhaltensweisen in erwünschte verwandelt worden waren. Was man dabei nicht von mir forderte, rang ich mir selbst ab. Schließlich dürstete ich wie jeder Mensch nach Anerkennung. Gerade die wurde mir aber stets verweigert. »Lob verweichlicht!«, hatte die Devise gelautet.
»Und damit wolltest du dich natürlich nicht abfinden«, konstatierte Daniela. »Du hast dir eingeredet, dass man dich irgendwann doch noch mal loben würde, und um das nicht nur zu hoffen, sondern dafür auch etwas zu tun, hast du diesen unmotivierten Ehrgeiz entwickelt.«
»Unmotiviert?«, vergewisserte ich mich.
»Jawohl, du wolltest Es schaffen, und das auch noch um jeden Preis.«
Dass sie damit Recht hatte, wurde mir im Laufe der Zeit immer klarer. Tatsächlich hatte ich immer etwas schaffen wollen und dieses Es zur Krone meines Lebens gemacht. Mein Ehrgeiz war der Welt, in der ich lebte, nicht entgangen. Für die Leute wurde es ein Sport, immer noch mehr aus mir herauszupressen, und wenn es anders nicht ging, versuchte man das sogar mit Kritik. Meine ohnehin überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit wurde niedergemacht und als mittelmäßig erklärt, und das ließ mich dann nur noch mehr Ehrgeiz entwickeln, immer mehr, mehr …
»Und daran bist du innerlich zerbrochen, Eva.«
»Ich habe als Kind oft geweint«, erinnerte ich mich, »heimlich, wenn es keiner sah.«
»Und warum heimlich?«
»Weil Tränen bei mir zu Hause verboten waren. Heulsusen bezogen immer noch eine extra Tracht Prügel.«
Daniela seufzte auf. »Ja«, sagte sie dann, »ein Kind, das weint, wird getötet.«
Mein Freudscher Versprecher von einst machte plötzlich einen schrecklichen Sinn.
Damit gab sie sich aber immer noch nicht zufrieden. In stundenlangen Sitzungen fand sie heraus, für welche Dinge ich als Kind Schläge bezogen hatte, und das extremste Beispiel brachte sie auf die richtige Spur: mein Beinbruch. Nach jenem Fahrradunfall, den ich als Fünfjährige erlitt, als der Nachbarsjunge mich mutwillig rempelte, war ich von meinem Vater trotz Gipsbein verprügelt worden.
»Für so viel Dummheit!«, hatte er getobt.
»Da hast du seine Angst gespürt!«, interpretierte Daniela den Vorfall. »Du warst noch so klein, dass du es ganz offen aufnehmen konntest. Dein Vater verwandelte seine Angst und seine Traurigkeit in Aggression. Und deshalb machst du es heute nicht anders.«
Das stimmte. Ich brauchte bloß zurückzudenken, und schon wimmelte es in meinem Hirn von entsprechenden Erinnerungen. Sobald ich mich missverstanden und gedemütigt gefühlt hatte, wäre ich am liebsten auf offener Szene in Tränen ausgebrochen. Da ich das aber aus Angst vor Strafen nicht wagte, fing ich an zu »transformieren«, um schließlich einen meiner Rumpelstilzchen-Auftritte zu liefern.
»Das hat jeder für Temperament gehalten«, erklärte
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