Zwei Frauen: Roman (German Edition)
also muss Er mir helfen.«
Mir wurde ganz sonderbar zumute. Vor meinen Augen drehte sich alles, sodass ich das, was um mich her geschah, nur noch schemenhaft, wie durch Nebel sah: Die Nachtschwester, die gerade eine Beruhigungsspritze aufgezogen hatte, Behringer, der die Hände tief in den Kitteltaschen vergrub, Karl-Heinz, der mir mit verzweifeltem Lächeln ins Gesicht sah.
»Beten … ich werde beten … wenn ich bete, wird alles gut …«
Mir war plötzlich kalt. Ich fror ganz erbärmlich, und dabei wurde das Schwindelgefühl in meinem Kopf immer stärker.
»… Vater unser, der Du bist im Himmel …«
Ich begann zu wimmern, das hörte ich, und ich spürte auch noch, wie ich meinen Körper an der Wand entlang in die äußerste Ecke des Zimmers schob, ihn zwischen Giftschrank und Spülbecken quetschte.
»… geheiligt werde Dein Name, … Dein Reich komme … Dein Wille geschehe …«
Ein Messer bohrte sich in mein Innerstes. Vor meinen Augen tanzten Bilder der Erinnerung, die immer klarer wurden, immer schneller, die auf mich zurasten, mich einkreisten, mich eins werden ließen mit der Vergangenheit.
Karl-Heinz Becker … ihn hatte ich nie gekannt. Aber jemand anderen hatte ich gekannt … und der hatte mir wehgetan … so sehr, dass ich es für alle Zeiten hatte vergessen wollen …
KAPITEL 21
Ich war siebzehn und tanzte mein erstes Solo, einen Csárdás, im Zigeunerbaron. Peter hatte damals eine schwere Grippe, und deshalb arbeitete ich vorübergehend mit einem anderen Partner zusammen, einem wunderschönen Mann, der nicht nur aussah wie ein Mann, sondern auch einer war. Er hieß Nicholas, und für mich war er die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Ich glaubte, die Erde müsste beben, wenn er in meiner Nähe war, und wenn er nicht in meiner Nähe war, bebte sie tatsächlich, denn dann wühlte die Sehnsucht nach ihm alles in mir auf. Tagsüber war das gerade noch erträglich. Da tat ich stur meine Arbeit, um nicht aufzufallen und mein Geheimnis bewahren zu können. In der Nacht war es jedoch kaum auszuhalten, denn ich fand keinen Schlaf. Sobald ich die Augen schloss, sah ich seine große, kräftige Gestalt vor mir, sah das dunkle lockige Haar, die hellen Augen, die immer strahlten. Es war eben Liebe.
Für Nicholas hätte ich alles getan. Ein einziges Mal hatte er mir gesagt, ich sollte mein Haar offen tragen, und seitdem mochte ich es nicht einmal mehr auf dem »stillen Örtchen« zusammenbinden. Weil Nicholas Seidenstrümpfe und eng anliegende Kleider liebte, trennte ich mich von meinen Söckchen und von meinen Faltenröcken, und weil Nicholas für große Frauen schwärmte, tauschte ich meine bequemen, flachen Sandaletten gegen unbequeme, hochhackige Pumps. Seinetwegen schminkte ich mein Gesicht, seinetwegen bemühte ich mich, der Musik der Rolling Stones etwas abzugewinnen. Es war eben wirklich Liebe, die erste Liebe eines Mädchens, das unbedingt schon eine Frau sein wollte und gerade deshalb eigentlich noch ein Kind war.
Nicholas ahnte nichts von meinen Gefühlen. Sein Herz gehörte Isabelle, einem bildhübschen Wesen, das in der Nachbarstadt lebte. Wann immer er ein paar Stunden Zeit erübrigen konnte, setzte er sich in sein Auto und fuhr zu ihr. Mit ihr verbrachte er seine gesamte Freizeit, auch seine Ferien. Trotzdem betrog sie ihn, und zwar mit seinem besten Freund. Alle wussten, dass es so war, das ganze Theater sprach davon, nur Nicholas hatte keine Ahnung. Mir tat das in der Seele weh. Wo ich ging und stand, lachte man über den »gehörnten Idioten«; dass sich dieser auch noch für einen wahren Glückspilz hielt, machte die Sache für mich zur Tragödie. Jede Nacht überlegte ich, wie ich ihm helfen könnte, und jeden Morgen verwarf ich den Plan der vergangenen Nacht wieder. Schließlich hatte ich weder das Recht noch die Möglichkeit, mich in diese Angelegenheit einzumischen. Hätte ich Nicholas nämlich gesagt, welches Spiel man mit ihm spielte, hätte er mir nicht nur nicht geglaubt, sondern er hätte mich dafür auch noch gehasst Ich musste also schweigen, wenn ich mir den Traum erhalten wollte, Isabelles Nachfolgerin zu werden, und diesen Traum hielt ich damals nun mal für das Salz meines Lebens.
Die Einzige, die davon wusste, war Hilary.
»Ich kann dich zwar nicht verstehen«, meinte sie, »denn er hat ja nicht mal Geld … aber bitte! Wenn du unbedingt leiden willst!«
»Leiden?«, wiederholte ich fassungslos.
»Ja. Mehr kannst du schließlich nicht tun.«
Wie treffend sie
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