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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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eine Zigarette an. Daniela sah sich das an. Nach einer Weile setzte sie sich dann zu mir.
    »Also gut, Eva … wie war das mit Herrn Becker? Was ist passiert in dieser Nacht?«
    »… Er hat geweint«, erwiderte ich leise.
    »Und? Wie hast du dich dabei gefühlt?«
    »Nackt!«
    »Aha«, meinte Daniela nach einer Schrecksekunde, »das ist das alte Lied, nicht wahr? – Wer Gefühle zeigt, macht sich verletzbar. – Das hast du mir mal gesagt, Eva.«
    »Ja«, gab ich zurück, »und du hast geantwortet: Wer sich ehrlichen Herzens öffnet, der … der …«
    »… der kann nicht verletzt werden!«, beendete sie den Satz. »Aber daran glaubst du nicht, sonst hättest du es behalten. Habe ich Recht?«
    Laut schluchzend warf ich mich in die Kissen der Sitzlandschaft, und dann, endlich, ließ ich alles heraus. Ich erzählte von Karl-Heinz, und ich erzählte von Nicholas, und ich ließ nichts aus, keine noch so unbedeutend scheinende Kleinigkeit, kein einziges Wort, keine einzige Geste.
    Danach war ich todmüde.
    »Das ist ganz normal!«, sagte Daniela, »und du bist es auch. Du hast lediglich eine Neurose, Eva, und wer keine Neurosen hat, der hat nun mal nicht gelebt.«
    »Du kannst das alles verstehen?«, hakte ich ungläubig nach.
    »Aber natürlich! Wenn mir so etwas passiert wäre, hätte ich es vielleicht gar nicht ertragen.«
    »Ja, aber –«
    »Aber was?«
    »Was kann man denn gegen so eine – Neurose tun?«
    Daniela lachte und wies auf die mir so sehr verhasste Gummimatte.
    »Oh nein!«, stöhnte ich sofort.
    »Oh doch! Du musst an dir arbeiten, Eva, du musst! Du schleppst nämlich mit Sicherheit noch ganz andere Dinge mit dir herum … glaube es mir!«
    Sie sollte Recht behalten. Nach all den Jahren, in denen ich immer nur so viel von mir preisgegeben hatte, wie ich in all meiner Verwirrung vor mir selbst hatte verantworten können, fand an diesem 5. März 1977 ein beispielloser, gesteuerter Selbstbetrug sein Ende.
    Ich hörte auf, jedes Wort, jeden Gedanken und damit auch mich selbst so abzugrenzen, dass das, was ich war, und das, was ich sein wollte, jeweils sein Eigenleben behielt. Ich »öffnete« mich, und das machte im Laufe der Zeit einen völlig neuen Menschen aus mir. Es bereicherte mich um mein zweites Ich, um mein Spiegelbild, meinen Schatten.
    Bisher hatte ich immer nur aus einem Teil von mir bestanden, nämlich aus der starken, unnahbaren und kopflastigen Eva. Sie ging ihren Weg und war durch nichts und niemanden davon abzubringen. Tief in mir gab es aber auch noch eine andere Eva. Sie lebte in einer Welt der Träume und der Sehnsüchte, und sie ließ nicht zu, dass man ihr die Illusionen raubte, bevor sie sich überhaupt welche gemacht hatte. Sie war ein Mädchen, das an die Liebe glaubte und an die Zärtlichkeit, das verletzbar war und melancholisch und voller Romantik. Es schien, als hätte ich ihr niemals Luft zum Atmen gewährt, denn als ich ihr jetzt durch Daniela begegnete, sah ich, wie verwahrlost sie war. Mit großen Kinderaugen schaute sie mich an und wollte endlich heraus aus dem Gefängnis ihrer Einsamkeit.
    Dieses zweite Ich zu entdecken forderte nicht nur viel Mühe, sondern auch viele, viele Tränen. Trotzdem konnte ich bald schon nicht mehr verstehen, warum ich mich so lange und so beharrlich gegen diese Prozedur gewehrt hatte. Die »Gummimatte« war nämlich im Grunde viel einfacher als die »Gesprächstherapie«. Wenn ich jetzt zu Daniela kam, lenkte sie eine harmlos scheinende Plauderei auf Themen, bei denen sie früher mit mir nicht weitergekommen war. Der Punkt, an dem ich dann auch jetzt blockierte, wurde daraufhin herausgestrichen und dramatisiert, bis ich zu meinem Schlüsselerlebnis vordrang.
    Auf diese Weise kamen binnen kürzester Zeit ungeheuerliche Dinge zutage. Ich hatte durch das, was mir mit Nicholas passiert war, eine pathologische Angst vor Männern im Allgemeinen und vor großen Männern im Besonderen entwickelt.
    Mehr noch, nach dem Vorfall im Ballettsaal hatte es Nicholas zwar nicht mehr für mich gegeben, wohl aber war mir die Liebe erhalten geblieben, die ich bis zu dieser Stunde für ihn empfunden hatte. Um dieses Gefühl nun irgendwie abzubauen, hatte ich mir einfach eine neue »Zielperson« gesetzt: Jimmy Porter. Der war auf Grund seiner Homosexualität ungefährlich gewesen, und überdies hatte mich diese Aussichtslosigkeit noch in meiner heimlichen Annahme bestärkt, Gefühle wären eben verlogen und sinnlos. Das konnte ich als Lebenserfahrung besser

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