Zwei Frauen: Roman (German Edition)
ich.
Daniela versuchte mir klar zu machen, dass diese Auftritte auf einer Gefühlsunfähigkeit beruhten, die ich ausschließlich meinem Vater zu verdanken hätte. Auf diesem Ohr stellte ich mich zunächst taub, denn Danielas Inzest-Frage von einst war mir noch in bester Erinnerung. Irgendwann gab ich dann aber doch nach.
»Liebst du ihn, Eva?«, wollte sie wissen.
»Meinen Vater?«, vergewisserte ich mich. »– Ja … sehr!«
»Würdest du ihn als den Mann deiner Träume bezeichnen?«
Da brauchte ich gar nicht lange zu überlegen. Mein Vater war der Mann meiner Träume, in jeder Hinsicht. Er war groß, stark und sportlich durchtrainiert. Er war klug, zärtlich, manchmal sogar richtig weise. Er war spontan und ehrlich, hilfsbereit und aufgeschlossen, humorvoll, spendabel, eben ein Supermann!
»War er im Krieg?«, wollte Daniela wissen.
»Ja, als Fallschirmjäger.«
»Hatte er viele Frauen?«
»Sehr viele!«
»Liebt er deine Mutter?«
»Ja.«
»Geht er schon mal für sie einkaufen, oder hilft er ihr manchmal im Haushalt?«
Ich musste laut lachen. »Mein Vater?«, fragte ich dann vorsichtshalber noch mal nach. »Du träumst wohl, Daniela! Mein Vater hat unsere Küche noch nie betreten, es sei denn, meine Mutter stand gerade am Herd und er hatte das dringende Bedürfnis, ihr in den Po zu kneifen. – Ich glaube, er hat noch nie ein Staubtuch in der Hand gehabt … und ihn mir im Supermarkt an der Kasse vorzustellen …«, wieder lachte ich.
Daniela blieb indes ganz ernst. »Wenn ich dich also richtig verstehe«, sagte sie, »ist dein Vater ein ganzer Mann, ja? Er hat seine Angestellten, und er hat deine Mutter, und er ist nie sentimental, nie dünnhäutig, stets der Prototyp des maskulinen Alleskönners. Ja?«
»Ja.«
»Und so wünscht du dir einen Mann?«
»Ja.«
»Bist du dir da sicher, Eva?«
»Ganz sicher!«
»Eva???«
Sie sah mich so fest an, dass ich vor Schreck schlucken musste.
»Ich kenne deine Eltern«, sagte sie dann. »Ich kenne deinen Vater, und ich kenne deine Mutter …«
»Und?«, hauchte ich.
»Dein Vater ist ein Schwächling, Eva, das weiß ich.«
»Das ist nicht wahr.«
»Deine Mutter ist die eigentlich Starke, Eva!«
»Nein!«
»Wenn ich deinem Vater sage, dass du morgen tot sein wirst, dann schlägt er mich zusammen, weil er nicht darüber weinen kann. Er ist nämlich zu schwach, um seine Schwächen zu zeigen, und das weißt du genau, Eva, und deshalb suchst du im Grunde einen Mann wie Mama, weil du deinen Vater nämlich hasst, Eva, du hasst ihn!«
Daniela hatte so laut und so schnell gesprochen, dass mir war, als hätte sie jedes einzelne Wort in mich eingeschlagen. Ich weinte, wusste aber, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Ich hasste meinen Vater. Ich hasste ihn, wie alle Töchter ihre Väter hassen, nämlich voller Liebe.
Von frühester Jugend an hatte er mich dazu angehalten, »eine ideale Frau« zu werden, und wie die in seinen Augen auszusehen hatte, machte er mir stets unmissverständlich klar. Diese ideale Frau musste logisch denken können und doch sensibel und zärtlich sein. In der Küche musste sie sich wie ein braves Weibchen benehmen, im Salon wie eine Dame von Welt, im Schlafzimmer wie ein Callgirl erster Güteklasse. Sie musste führen und folgen können, sie musste sittsam und zugleich frivol sein, sie musste reden und schweigen können, sie … »Sie muss eben einfach eine Frau sein!«, pflegte mein Vater abschließend hinzuzufügen.
Daniela lachte darüber. »Er ist eben bescheiden«, sagte sie, »findest du nicht?«
»Ich weiß nicht«, stöhnte ich. »Ich weiß nur, dass ich ihn in diesem Punkt immer enttäuscht habe und vermutlich auch immer enttäuschen werde.«
»Warum?«
»Weil ich das, was er will, nicht schaffen kann. Bei mir klappt alles immer nur ein bisschen, aber nichts klappt perfekt.«
»Das nennt man Vielseitigkeit, Eva.«
»Mein Vater nennt das Unreife.«
»Und wie nennst du es?«
Ich seufzte. Mir, die ich immer so gern für alles nach einem passenden Wort suchte, mir fiel dazu nichts ein.
»Darf ich dir einen Vorschlag machen?«, fragte Daniela deshalb nach einer Weile.
»Sicher!«
»Nenn es einfach du !«
»Wie?«
Sie lächelte. »Der Ausdruck stammt von dir, Eva. Du bist nun mal unmöglich und unglaublich, aber trotzdem – oder vielleicht sogar deswegen – bist du, wie du bist, von allem ein bisschen, auf der Suche nach der Perfektion. Das bist du !«
»Und du glaubst, dass das reicht?«, erkundigte ich mich
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