Zwei Frauen: Roman (German Edition)
beenden konnte. Bat er in aller Verzweiflung seine wehklagenden Angehörigen, das zu tun, winkten sie ab, weil sie einerseits für »so was« nicht ins Gefängnis wollten – »Das ist es nicht wert!« –, und weil sie andererseits sehr bald herausfanden, dass auch eine so sinn- und hoffnungslose menschliche Existenz noch auszuschlachten war: Fortan ging man in die Klinik zum »Leid angucken«, wie Claudia es nannte, um damit die eigene Lebensqualität zu heben.
»Wenn man das so sieht, … nein, nein, nein …, dann weiß man erst, wie gut es einem geht …!«
Dass Claudia, die das noch häufiger als ich bei anderen gesehen hatte, nicht bereit war, sich für dieses Spielchen herzugeben, war das Einzige, was ich wirklich begreifen konnte.
Ich fand aber, dass man, um dem zu entgehen, nicht gleich Selbstmord begehen musste.
»Sondern?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht …«
»Kannse auch nich wissen – weil et ne andre Lösung nämlich nich gibt!«
»Aber Selbstmord ist eine Sünde …!«
»Sünde?«, wiederholte Claudia ungewöhnlich artikuliert. »Ich denk, du bis en gläubig Kind!«
»Bin ich auch!«, erwiderte ich.
»Und da weiße nich, wie dat is mitte Sünde?«
»Doch …«
»Nee! Weil ihr Christen nämlich alle gleich seid, Eva, ihr seid alle Mann päpstlicher wie den Papst.«
»Wieso das denn?«
»Ich denk, du has dat selber scho ma spitzgekriecht, datte en Nix bis!?«
»Das war aber doch in einem ganz anderen Zusammenhang –«
»Du has gesacht, datte nix bis und nix weiß, und da willse heute wissen, wat ne Sünde is?«
»Natürlich weiß ich das«, regte ich mich auf, »das steht schließlich in der Bibel. Man soll nicht töten, nicht stehlen, nicht begehren seines Nächsten –«
»Jau, jau«, fiel Claudia mir ins Wort. »Und wie is dat, wenn du en Kerl kennen lerns, den de wahnsinnig liebs, und er liebt dich, aber ne andre Frau liebt ihm auch? Wat
is dann, Eva? Dann gehse mit ihn int Bett, ihr zwei seid happy, und die andre heult sich de Augen aus. Nich aus Neid, sondern weil se echt leidet. Wie nennse dat dann? Zufall?«
»Ich … ich weiß nicht …«
»Dat is dann auch Sünde, Eva. Denn bloß weil du nix davon weiß, nix dran ändern kanns und nix von inne Bibel steht, machse aus ne Sünde kein unglücklichen Umstand.«
Ich schnappte nach Luft. Was Claudia da sagte, brachte mich völlig durcheinander, ich wusste gar nicht, was ich davon halten sollte. Deshalb klammerte ich mich wohl auch an althergebrachte Platitüden. »Was du da von dir gibst«, tönte ich, »ist pure Blasphemie! Du sprichst hier schließlich nicht von irgendwem, sondern von Gott, und in Gottes Allmacht darf der Mensch nicht eingreifen!«
Daraufhin stöhnte Claudia laut auf. »Weiße eigentlich, wat für ne Scheiße du labers«, fragte sie mich, »oder merkse dat ga nich?«
»Ich rede keine Scheiße!«, gab ich hart zurück.
»Nee? Dann überlech ma, Evken! Wenn dein Gott wirklich so wat ganz Besonderet is, wie de immer sachs, dann wird er dat hier schon so machen, wie er will. Wenn ich nich abkratzen soll, kann ich dann tausend Pillekes schlucken, und et geht trotzdem schief.«
»So darfst du das aber doch nicht sehen«, wandte ich ein, »man darf Gott nicht versuchen.«
»Son großartigen Allmächtigen lässt sich doch wo nich versuchen, Eva. Und wenn er sich lässt, dann is ihn ga nich so großartig.«
»Claudia!«
»Mmh?«
Mit sperrangelweit geöffnetem Mund saß ich da und konnte es nicht fassen. Claudia kämpfte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, um mich davon zu überzeugen, dass ihr Plan, sich das Leben zu nehmen, richtig und erlaubt war. Sie brauchte mich. Wenn ich ihr nicht half, hatte sie keine Chance, sie brauchte meine Beine, meine Arme … Doch konnte ich nicht aus meiner Haut heraus. Nach meiner religiösen Erziehung war Selbstmord eine Todsünde. Man verwirkte damit sein ewiges Leben und endete im Fegefeuer. Deshalb musste man als gläubiger Mensch alles dransetzen, sich selbst und andere davor zu bewahren. Ich hatte Claudia aber bereits meine Hilfe versprochen. Da ich nun einerseits meiner Religion treu bleiben wollte, es mir andererseits aber schuldig war, mein Versprechen zu halten, trieb mich das in einen unlösbar scheinenden Konflikt.
In manchen Stunden fühlte ich mich wie eingefroren. Ich konnte weder lachen noch weinen, starrte auf ein und denselben Punkt und dachte dabei an alles, zugleich aber auch an nichts. Dann wiederum gab es Momente, in denen ich absolut
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