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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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dass es einen Grund hatte.
    »Das stimmt nicht!«, log ich die Nachtschwester deshalb an. »Ich bin das, die sich vor Milch ekelt, Claudia liebt das Zeug.«
    »Sie?« Maria war äußerst erstaunt. »Ach so ist das! Dann haben Sie das mit dem Brechmittel mal gesagt …«
    »Ja.«
    Damit hatte ich es hinter mir. Die Nachtschwester teilte weiter die Tabletten aus, und ich konnte mich langsam aber sicher bereitmachen für den »großen Coup«.
    Um Schlag zwanzig Uhr vierzehn war es so weit.
    Maria hatte ihren Rundgang beendet, ging zurück zum Schwesternzimmer, und genau in diesem Moment stand ich auf, war mit zwei Schritten an unserer Tür, öffnete sie. Das war das Zeichen: Claudia begann zu schreien, und gleichzeitig schellte sie Sturm.
    »Um Gottes willen!«, lautete mein Text.
    »Was ist denn?«, fragte die Nachtschwester erschrocken.
    »Ich weiß nicht …«
    Claudias Plan ging auf. Maria nahm sich nicht die Zeit, die Medikamente wegzuschließen, zumal auch keine wirklich schweren Geschosse darunter waren; sie stellte ihr Drogentablett nur ab und eilte zu Claudia. Kaum dass sie unser Zimmer betreten hatte, lief ich ins Schwesternzimmer. Barbiturate mussten es sein, so lautete mein Auftrag, und da die meisten der gängigen Schlafmittel Barbiturate waren, war das nicht allzu schwierig. Ich griff nach einer der Klinikpackungen, öffnete sie und schüttete eine Hand voll Tabletten in die Tasche meines Bademantels. Eine fiel mir dabei auf den Boden – sofort brach mir der Schweiß aus! Ich bildete mir ein, dieses Geräusch hätte man im ganzen Haus gehört, und als mir die Pille, da ich sie aufheben wollte, auch noch mehrmals aus den Fingern glitt, glaubte ich, gleich einen hysterischen Anfall zu bekommen. Doch blieb mir das erspart, beim vierten Versuch hatte ich den Ausreißer, warf ihn in die Packung zurück, verschloss sie wieder, stellte Sie zurück, eilte zur Sitzecke, um meine Illustrierte zu holen, die ich dort hatte liegen lassen, und lief dann ins Zimmer, wo die Nachtschwester händchenhaltenderweise an Claudias Bett stand.
    »Ich weiß, dass die Schmerzen schlimm sind«, sagte sie mitfühlend, »aber ich kann Ihnen den Cocktail nicht vor der Zeit geben.«
    Claudia weinte echte Tränen. Ihre Qualen waren so groß, dass sie dazu jederzeit fähig war.
    Als sie mich kommen sah, wischte sie sich die Tränen jedoch ab.
    »Ja, ja«, wimmerte sie, »is schon gut …«
    »Es tut mir wirklich Leid.«
    »Ja, ja …«
    »Soll ich Ihnen Ihre Milch bringen?«
    »Mmh …«
    Claudia wimmerte wie ein kleines Kind, und als die Nachtschwester sich umdrehte und das Zimmer verließ, sah sie mir für den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht. Es tat ihr ernsthaft Leid, Claudia nicht helfen zu können, das las ich in ihren Augen. Vor allem aber las ich darin, dass sie überzeugt war, ich hätte von Anfang an da gestanden, wo ich jetzt stand, am Fußende meines Bettes, die Alibi-Illustrierte fest in der Hand.
    »Hat et geklappt?«, fragte Claudia, kaum dass wir allein waren.
    »Ja«, erwiderte ich im Flüsterton.
    »Viel?«
    »Ich denke!«
    »Wie viel?«
    »Warte, bis Maria …«
    »Logo!«
    Etwa zehn Minuten später bekam Claudia ihre Milch, die ich wie immer sofort in den Ausguss schüttete, während sie selbst die Beute meines Raubzuges prüfte.
    »Prima!«, krächzte sie schließlich. »Nu reicht et!«
    »Wie?« Ich verstand kein Wort.
    »Morgen mach ich et!«
    »Was?« Ich wollte nicht verstehen. »Wieso morgen?«
    »Wieso nich morgen?«
    Damit war die Angelegenheit für Claudia erledigt. Sie schlief an diesem Abend ein, als wäre es ein Abend wie jeder andere, und ich lag wach und weinte, die ganze Nacht. Zahllose Fragen türmten sich vor mir auf, Ängste, Zweifel. Viel zu schnell war mir das alles gegangen – hatten wir nicht erst vor zwei Monaten Claudias Geburtstag gefeiert? Viel zu unüberlegt kam mir das alles vor – gab es nicht vielleicht doch noch einen anderen Ausweg?
    Aber ich war allein mit diesen Fragen und Ängsten und Zweifeln, und das Einzige, was mir wirklich blieb, war eine grenzenlose Verwirrung, die eingebettet war in die Gewissheit, dass mich das, was vor mir lag, auf ewig verfolgen sollte und dass ich dafür bezahlen würde, einen Preis, den außer meinem Herrgott niemals jemand würde ermessen können:
    »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.«

KAPITEL

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