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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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mein glückseliges Einschlafen war.
    »Ach ja, ach ja …«, hörte ich sie wie in weiten Fernen seufzen, »… ich hätt echt gerne geheiratet. So mit en Kranz und en Schleier … und mein Willi neben mir … und dann son Pfaffe, der sacht: Wills du, Claudia Jacoby, den hier anwesenden Willi Schultheiß zu deinen dir rechtemäßig … angetrauten … Gatten –«
    Ich schreckte auf, denn plötzlich vernahm ich ein mir völlig fremdes Geräusch. Es dauerte noch einen Moment, bis ich wirklich begriff, was meine geweiteten Augen da sahen: Claudia weinte. Dicke Tränen tropften aus ihren grauen Augen, rannen über ihr Gesicht, und sie schluchzte wie ein Kind. Das war wie ein Wunder für mich. Claudia hatte in den fast anderthalb Jahren, die wir uns kannten, geflucht und gejammert, sich beschwert und wie eine Furie aufgeführt, aber sie hatte in all der Zeit nur einmal Tränen vergossen – als Ina starb. Jetzt weinte Claudia. Ich starrte sie an, lauschte den Tönen, die aus ihrer Brust drangen, brauchte aber geraume Zeit, um das zu verkraften.
    »Heh?«, flüsterte ich. »Was ist denn? – Claudi?«
    Sie gab mir keine Antwort darauf, und so kletterte ich aus meinem Bett, setzte mich zu ihr und nahm sie fest in die Arme.
    »Was ist denn Claudi?«
    »Ich … ich hab … ich hab neue Metastasen«, schluchzte sie, »… anne Wirbelsäule …«
    Zu meinem Entsetzen entsetzte mich das nicht einmal. Es gab zwar kaum noch Dinge in dieser Welt, die mich noch zu entsetzen vermochten, doch hätte ich in diesem Fall eigentlich mit einem von Furcht und Schrecken geprägten Gefühl gerechnet. Dass dieses ausblieb, war das Einzige, was mich entsetzte, allerdings verwand ich auch das recht schnell.
    »Seit wann weißt du das?«, fragte ich nur.
    »Seit heut mittach.«
    »Und jetzt?«
    Claudia zuckte die Achseln. »Die Dinger sind überall, auch im Kopp. – Weiße, en bissken blöde wa ich ja immer schon, aber jetz wird dat wo … echt schlimm wird dat werden, Eva. Und gelähmt werd ich auch bald sein, … bis zum Hals …«
    »Und da kann man gar nichts tun?«
    »Caesar und Kleopatra sind eingegangen.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich mich erinnerte, dass so die Versuchstiere hießen, an denen Präparate erprobt werden, die dann Claudia einnahm.
    Claudia sagte das mit einem Tonfall, mit dem andere einen Witz erzählten, und deshalb nahm ich sie nur noch fester in die Arme. Es beruhigte mich, ihre Nähe zu spüren, die Wärme ihres Körpers.
    »Ja, Evken …«, seufzte Claudia derweil, »… so is dat …«
    »Ja …«, seufzte ich zurück, »… so ist es wohl immer …«
    »… ich kann nich mehr …«
    »… solange man das noch sagen kann, kann man noch! Das hat meine Ballettmeisterin früher –«
    »Ich will aber auch nich mehr!«, fiel Claudia mir ins Wort, und dabei löste sie sich aus meiner Umarmung und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
    »Ich will echt nich mehr!«, wiederholte sie, ohne mich anzusehen. »Und deshalb gibt et da bloß eine Lösung. – Verstehse?«
    Ich verstand. Ich sah Claudia dasitzen, sah ihr verweintes Gesicht und ihre zitternden Hände, und verstand. Ich verstand es sofort und wusste doch, dass ich es niemals wirklich würde verstehen können, nickte trotzdem andächtig mit dem Kopf, hörte mich sagen: »Ich werde dir helfen!«, und gab Claudia damit ein Versprechen, dessen Ausmaß ich erst sehr viel später begreifen sollte.

KAPITEL 25
    Selbstmord! … Bis zu diesem 13. Juni 1977 war das eigentlich immer nur ein Wort für mich gewesen, ein Wort für einen flüchtigen Gedanken, der mir stets dann gekommen war, wenn ich mein Leben für allzu traurig und allzu hoffnungslos gehalten hatte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich mich dann von diesem Wort berauschen lassen, von diesen zehn magischen Buchstaben, die wie eine Lichtreklame den vermeintlichen »letzten Ausweg« zu markieren schienen; die Flucht nach vorn. Doch damit hatte dieser Rausch dann meist auch schon wieder sein Ende gefunden. Es gehörte schließlich sehr viel Mut dazu, sich das Leben zu nehmen. Man musste aktiv werden, man musste etwas tun, um dieses Ziel zu erreichen. Den Mut und die Kraft, die das erfordert hätte, konnte ich also auch ebenso gut auf das Leben verwenden und nicht auf den Tod.
    Weiter hatte ich bisher noch nie gedacht, wenn ich an Selbstmord gedacht hatte, weiterdenken musste ich erst jetzt.
    Rein sachlich betrachtet, ist der Selbstmord ein Akt der Gewalt, den der Mensch an sich selbst verübt. Täter und Opfer

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