Zwei Frauen: Roman (German Edition)
sicher war, den größten Fehler meines Lebens zu begehen, wenn ich zu meinem Versprechen stünde, und immer dann, wenn dieses Gefühl mich fast überwältigte und ich mich schon aufrichtete und den Mund öffnete, um Claudia zu sagen, dass ich mein leichtfertig gegebenes Ehrenwort nun doch nicht würde halten können, immer dann sah ich diese andere Claudia, nicht die potenzielle Sünderin, sondern die Freundin, die einzige, wirkliche Freundin, die ich jemals gehabt hatte, die einzige, wirkliche Freundin, die ich vielleicht jemals haben würde.
Drei Tage und drei Nächte ging das so, dann bemerkte Daniela meine innere Zerrissenheit. Ungeachtet meiner Abnabelung von ihr, war unsere gemeinsame Arbeit immer noch viel zu intim, als dass ich auf Dauer hätte verbergen können, dass in mir etwas Fremdes, etwas Bedrohliches vorging.
»Sag es mir!«, forderte Daniela dann auch gleich. »Sag mir, was los ist, Eva!«
Wie paralysiert saß ich da und schaute in meinen Schoß. Keine Stunde war es her, seit ich Claudia verlassen hatte, um zu Daniela zu gehen.
»Ich fleh dich an, Eva«, hatte Claudia geschluchzt, »ich fleh dich echt an: Verrat mich nich! Wenn de mir schon nich hilfs, dann verrat mich wenichstens nich, denn wenn de wat sachs, kann ich ga nix mehr tun … dann bin ich dran … dann muss ich leben …!«
Langsam blickte ich auf. »Du bemerkst alles«, sagte ich zu Daniela, »man kann dir nichts verheimlichen … ich habe wahnsinnige Angst … vor den Bestrahlungen!«
Kurz darauf, nach einer langweiligen Diskussion über die Vor- und Nachteile von Kobalt-60, stand ich vor Claudias Bett. Eine tiefe Scham erfüllte mich. In diesen nervenzerfetzenden Augenblicken in Danielas Büro hatte ich mir plötzlich eingestehen müssen, dass das Einzige, was mich an Claudias Selbstmordabsichten wirklich belastete, die Angst war, mit meiner Schuld nicht weiterleben zu können. An mich dachte ich, nur an mich, dabei ging es um Claudia. Zum ersten und vielleicht letzten und einzigen Mal in meinem Leben hatte ich die Möglichkeit, für jemanden »da« zu sein, mit Leib und Seele, mit letzter Konsequenz.
»Es tut mir Leid, Claudia, dass ich so lange gezögert habe«, sagte ich leise, »aber … ich werde dir helfen. Ich habe es dir versprochen, und … ich werde zu meinem Wort stehen.«
Aus ungläubigen Kinderaugen blickte Claudia zu mir auf. »Is dat dein Ernst?«, flüsterte sie ängstlich.
»Ja.«
»Und du fälls nich wieder um?«
»Nein.«
Sie lächelte. »Danke, Evken … danke!«
Noch am gleichen Abend gingen wir es an. Claudias Plan war simpel, nichtsdestotrotz effektiv. Jeden Abend um kurz vor acht Uhr erschien die Nachtschwester und teilte die Schlaftabletten aus. Jeden Abend ließen wir uns unsere Rationen geben, beide Pillen verschwanden dann im Schrank zwischen der Wäsche, und ich machte mich meist gegen Mitternacht nochmals auf und behauptete, trotz der Medikamente nicht schlafen zu können.
»Meine Güte«, rief unsere Maria dann jedes Mal aus, »die machen euch hier noch reif für den Entzug. Wenn ich ein solches Geschoss in mich hineinstopfen würde, läge ich im nächsten Moment schon bäuchlings da. Und Ihr schluckt gleich mehrere davon und seid immer noch aufgekratzt. Wo soll denn das bloß hinführen?«
Eine Antwort gab ich ihr natürlich nie darauf, und aus Gründen der Vorsicht ließ ich mich auch nie auf weiterführende Gespräche ein. Ich zuckte immer nur dümmlich mit den Achseln, nahm an Chemie, was man mir gab, und legte es zu dem anderen. Dann ging ich schlafen, versank aber nur selten in schöne Träume und war am nächsten Morgen entsprechend zerschlagen.
Anderthalb Wochen ging das gut, dann wurden meine Ärzte hellhörig.
»Sie können nicht schlafen?«, fragte Doktor Behringer eines Morgens, als er bei der Visite wieder mal vor einer todmüden Eva stand.
»Nein.«
»Ja, wie kommt das denn?«
Bevor ich eine ausweichende Antwort geben konnte, meinte Professor Mennert, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, man sollte meiner Schlaflosigkeit nicht allzu viel Bedeutung beimessen.
»So etwas kommt schließlich vor.«
»Sollen wir die Dosis erhöhen?«, fragte Behringer daraufhin.
»Ja, das ist eine gute Idee«, erwiderte Mennert. »Schwester Helma, notieren Sie bitte, dass Eva ab heute die doppelte Menge dieses … was bekommt Sie?«
Er schaute flüchtig in Helmas schlaues Buch, und damit war die Angelegenheit auch schon erledigt. Claudia jubelte darüber, mir selbst bereitete diese
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