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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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    Der 14. Juli 1977 war ein Hochsommertag mit strahlend blauem Himmel. Die Sonne schien wie nie zuvor in diesem Jahr, und ein angenehmer, warmer Wind wehte von Süden her. Es war ein herrlicher Tag, ein besonderer Tag – der letzte im Leben der Claudia Jacoby, und doch ein Tag wie jeder andere. Er hatte einen Morgen, einen Mittag und einen Nachmittag, auch seine Stunden hatten nur sechzig Minuten, auch er verging, einfach so, und in meiner Erinnerung bestand er später nur noch aus ein paar Augenblicken, aus einigen wenigen Situationen.
    8.00 Uhr: Claudia legte den Kopf weit in den Nacken, um aus dem Fenster in den Himmel schauen zu können.
    »Siehse«, witzelte sie, als sie das strahlende Blau erblickte, »wenn Engel reisen, lachter Himmel!«
    9.25 Uhr: »Sag mal«, flüsterte ich, nachdem ich über eine Stunde mit mir gerungen hatte, »wie willst du es denn eigentlich machen?«
    Claudia sah mich missmutig an.
    »Watte nich weiß«, krächzte sie mit streng erhobenem Zeigefinger, »macht dich nich heiß!«
    »Aber …«
    »Du has versprochen, allet zu tun und nix zu fragen!«
    »Schon … nur … ich … ich weiß weder, wann du die Schlaftabletten nehmen willst, noch weiß ich, wie du das tun willst, ich weiß nur, dass du es tun willst, und ansonsten –«
    »Mehr wissen, Evken, … dat macht Falten!«
    11.16 Uhr: Ich hing in meinem Bett und quälte mich mit den Gedanken, mit denen ich mich auch in der vergangenen Nacht und in all den vorangegangenen Wochen gequält hatte.
    »Komm, Evken!«, sprach Claudia mich an. »Mach nich son Gesicht, sons merken die da draußen noch wat … dat muss hier allet ganz normal aussehn!«
    »Das geht nicht, Claudia!«
    »Kla geht dat«, erwiderte sie, würgte ihre Mahlzeiten herunter, erbrach sie wieder und fluchte – bettelte vor der Zeit um ihre Cocktails, bekam sie nicht und kreischte – wie immer!
    14.30 Uhr: Ich wachte aus meinem Mittagsschlaf auf. Knapp zwei Stunden war ich weit weg gewesen von Angst und Tod, doch dafür war mir jetzt alles gleich doppelt nah.
    Claudia raschelte mit Papier.
    »Kommse ma, Evken? Ich hab hier wat!«
    Noch leicht schlaftrunken kletterte ich aus dem Bett, sie gab mir einen Brief.
    »Den is für Willi«, sagte sie, »geb en ihn, wenn er kommt!«
    »Wenn er kommt?«, wiederholte ich ungläubig. »Ich kann mir kaum denken, dass er –«
    »Den kommt!«
    »Aber er war doch die ganze Zeit über nicht hier.«
    »Da wa ich ja auch hier! Wenn ich nu wech bin, Eva … da is den Willi da. Kannse Gift drauf nehm!«
    16.05 Uhr: Mutter Jacoby musste bereits seit einer guten Stunde die wildesten Schimpftiraden über sich ergehen lassen.
    »Wieso hasse mir dat grüne Nachthemd nich mitgebracht?«, keifte Claudia dann auch noch.
    »Welches grüne Nachthemd?«
    »Dat mitte Tierkes drauf!«
    »Das habe ich weggeworfen.«
    »Wat? Dat schöne Dingen?«
    »Das hatte Löcher, Kind, unter den Armen war es völlig –«
    »Sonne Scheiße! – Sch … aa … hh …«
    Claudia tobte wie eine Wahnsinnige, spulte ihr gesamtes Schimpfwortrepertoire herunter und schloss es ab mit der Feststellung, ihre Mutter wäre eben eine Asoziale, aber das hätte sie ja immer schon gewusst.
    »Bloß Asoziale schmeißen allet wech!«
    »Was???«
    »Deswegen kommse auch zu nix!«
    »Claudia!!!«
    »Ach, hau ab!«
    Frau Jacoby – oder wie immer sie nach ihrer Wiederverheiratung heißen mochte – tat wohl nichts lieber als das. Sie dachte wahrscheinlich, dass dies einer jener Tage war, wo man gut daran tat, Claudia aus dem Weg zu gehen. Also schoss sie von ihrem Stuhl, spurtete zur Tür, und als sie sich ein letztes Mal umdrehte, ahnte sie nicht, dass sie ihre Tochter niemals wiedersehen sollte.
    »Tschüs, Kind!«, sagte sie beiläufig.
    »Tschüs, Mama!«
    Dann fiel die Tür auch schon ins Schloss, und mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken.
    Claudia lächelte selig vor sich hin. »Tschüs, Mamaken«, flüsterte sie, »mach et gut!«
    18.00 Uhr: »Künden sich Herbst und Winter an,
    Dann lächelst du, wie es begann,
    Weiß ist dein Haar, so weit dein Blick,
    Siehst du zurück.
    Nichts ist so wichtig, nichts so groß
    Wie deine friedliche Hand im Schoß,
    Nichts fängt im Leben noch mal an,
    Und was kommt dann …?
    … Dann kommt der große Abschied von der Zeit …«
    Dieser »Große Abschied« war immer schon Claudias Lieblingslied gewesen, doch hatte sie den Worten wohl noch nie andächtiger gelauscht als an diesem 14. Juli 1977. Sie war sich plötzlich ganz sicher, dass

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