Zwei Frauen: Roman (German Edition)
mich an. »Morgen Früh, Eva, da fracht dich Pfurz und Feuerstein, wie dat hier wa, und dann …«
Sie reichte mir einen Brief. »Den is für Mennert!«, flüsterte sie. »Gib en ihn und wasch ma ers de Gläskes aus!«
Nun verstand ich endgültig nichts mehr, die Welt nicht, Claudia nicht, nicht einmal mehr mich selbst. Ich nahm den Brief, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was Claudia dem Professor wohl zu schreiben hatte, legte ihn weg und ging mit den beiden Gläsern ins Bad.
Gut fünf Minuten stand ich dort vor dem Waschbecken, ließ das Wasser rauschen und die Tränen fließen. Ich konnte weder denken noch fühlen. Ich war nur noch müde, und am liebsten wäre ich in dieser leicht gebückten Stellung, in diesem winzigen, so überschaubaren Räumchen, in dieser so schweren Stunde für alle Zeiten eingeschlafen. Doch dann blickte ich plötzlich auf und sah mein Gesicht im Spiegel. Es lebte. Es lebte, wie ich selbst lebte, und es konnte seinem Anblick ebenso wenig entfliehen wie ich meinem Schicksal. Es konnte nur vor sich selbst die Augen verschließen, blieb aber auch dann, was es so oder so war: mein Gesicht, mein Schicksal. Ich drehte den Wasserhahn zu, trocknete die Gläser ab, wischte mir die Tränen vom Gesicht, dann ging ich ins Zimmer zurück.
Claudia lag entspannt in ihrem Bett. Ihre Augen strahlten wie die eines Kindes, das zum ersten Mal in seinem Leben mit der Eisenbahn fahren darf. Sie freute sich auf ihren Tod. Sie freute sich darauf, endlich Abschied nehmen zu dürfen von dieser Welt und von ihrem Leben, und diese Freude konnte und wollte sie mit niemandem teilen, auch nicht mit mir.
Hilflos lehnte ich mich gegen den Türrahmen. Ich fühlte mich unendlich einsam.
»Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«, sprach ich sie schließlich an.
»Mmh?« Sie blickte zu mir herüber, als hätte ich sie aus tiefstem Schlaf geweckt.
»Ob ich noch irgendetwas für dich tun kann …«, wiederholte ich leise.
Sie überlegte einen Moment, dann tanzte plötzlich ein verschmitztes Lächeln auf ihren Lippen. »Mmmmmh!«
»Was?«
»Gibse mir dat geile rosa Hemdken mit die dünnen Trägerkes und dat Spitzenzeuchs?«
Zuerst wusste ich gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte immer geglaubt, dass Claudia meine Wäsche übertrieben und »aufgemotzt« fand.
»Nee, nee!«, erklärte sie mir jetzt. »Sonne Scharfmacher mach ich schon auch leiden … wa für mich bloß nie wat … wa ich nich schön genuch für … abber heute …? Tuse mir den Gefalln …? Wär ja ma bloß für die eine Nacht …?«
Ich tat ihr diesen Gefallen nur zu gern, vermutlich hatte ich noch nichts in meinem Leben mit größerer Freude getan. Ich sprang förmlich zum Schrank, um das Nachthemd zu holen, half Claudia beim Umziehen, zupfte ihr die Spitzen in die rechte Form.
»Möchtest du vielleicht auch den passenden Schal dazu?«, fragte ich dann.
»Dat is nich nötig!«
»Aber vielleicht sollte ich ihn dir …«
Das Wort blieb mir im Halse stecken.
»Wat?«, hakte Claudia sofort nach.
»Nichts …«
»Willse mir dat Dingen etwa um den Kopp binden?«
Verschämt senkte ich den Blick.
»Damit ich nich anfang zu schnaufen …?«
»… Damit der Unterkiefer nachher nicht so weit herunterhängt …«, winselte ich. Ich schämte mich fürchterlich, und ich konnte mir nicht erklären, wie ich auf so eine abgeschmackte Bemerkung hatte kommen können.
Claudia fand das indes eher witzig als abgeschmackt.
»Also weiße«, prustete sie, »du bis echt ne Perver- … nee! Per…«
»Perfektionistin?«
»Genau! Bis innen Tod, Eva!«
Ich schämte mich nur noch mehr.
»Dat is nu ma so, Evken, wenn de hin bis, hängt allet rum … oder is dat nich so, wenn man en Tuch drumbindet?«
Ich zuckte die Achseln, schließlich hatte ich da auch noch keine Erfahrungen, es war nur so eine Idee gewesen.
»Na gut!«, stöhnte Claudia daraufhin. »Wenn et dich glücklich macht: … Bind en Tuch drum! – Nur mach dat nich, solang ich dat noch merke!«
Noch immer verschämt blickte ich ihr in die Augen. »Ich pass schon auf!«
»Mmh«, erwiderte sie, »… dat hat mein Willi im Bett immer gesacht.«
Obwohl das witzig klang, sah Claudia ungewöhnlich traurig aus, als sie das sagte.
»Hast du ihm immer noch nicht verziehen?«, fragte ich sie.
Sie antwortete nicht, drehte den Kopf zur Seite und blickte voller Wehmut auf Willis Foto.
»Du solltest ihm verzeihen, Claudi, du würdest dich bestimmt besser fühlen, wenn
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