Zwei Frauen: Roman (German Edition)
–«
»Hab ihm ebent ausgeliehn, verdorri – geh! Los!«
»Ja, aber –«
»Eva! … Lass dir dat Zeuchs geben und guck, dat hier keinen reinkommt solange, auch du nich. Ers um fünf vor kommse wieder. Kapiert? Um fünf vor!!!«
»Ja, aber was soll ich denn …?«
»Erzähl ihr wat vont gelbe Pferd, Evken, aber erzähl ihr wat und mach zu!«
Claudia war anzumerken, dass sie mit ihrer Geduld am Ende war, und warum das so war, hätte mir eigentlich klar sein müssen. Ich hätte wissen müssen, warum ich das Zimmer verlassen und diese Komödie mit dem Waschlappen inszenieren sollte. Ich wollte es aber nicht wissen, und so dachte ich einfach darüber hinweg, indem ich mich verbissen auf meine zweifelhafte Aufgabe konzentrierte und auf den Flur hinausging. Ich hatte »Glück«. Die Nachtschwester war im Nebenzimmer bei einer jungen Patientin, die ambulant chemotherapiert wurde und immer nur die Nacht nach der Infusion bei uns auf der Station verbrachte. Wie ich hörte, ging es ihr ziemlich schlecht. Sie erbrach wohl, denn Maria mahnte sie ständig, durch die Nase zu atmen.
»Sonst muss ich den Doktor holen, damit er Ihnen eine Magensonde legt.«
Als ich das vernahm, hätte ich fast einen Schreikrampf bekommen. In meiner Angst sah ich schon Behringer auf die Station kommen, diese unglückselige Magensonde legen und anschließend noch mal eben kurz bei uns hereinschauen … Doch hatte ich dabei Claudias Planung unterschätzt. In dieser Nacht hatte nämlich der Stationsarzt von S 5 Bereitschaftsdienst, und der kannte uns nicht. Somit hätte er auch keinerlei Veranlassung gehabt, die Runde zu machen. Claudia hatte eben an alles gedacht. Auf die Minute genau und bis ins letzte Detail war jeder noch so winzige Schritt ausgetüftelt, und überdies hatten wir auch noch besagtes »Glück«. Als die Uhr auf dem Gang endlich fünf Minuten vor zehn zeigte, war die Nachtschwester immer noch mit dem würgenden Sorgenkind beschäftigt, sodass ich mit dem Waschlappen in der Hand ins Zimmer zurückkehren konnte. Claudia saß strahlend in ihrem Bett.
»Wie wart?«, fragte sie mit fröhlicher Stimme.
»Ja … äh …« Ich erzählte ihr alles, strich viel Lob ein und hatte mich sofort wieder ins Bett zu legen. Claudia läutete.
»Was denn nun?«, fragte ich.
»Nu is gleich zehne, und ich will mein Cocktail!«
Den hatte ich völlig vergessen. Claudia bekam immer um zehn ihren letzten Cocktail, den so genannten »Sleeper«,der stärker war als die einzelnen Tagesdosen. Die Nachtschwester war da ebenso genau wie ihre Patientin. Sie musste sofort gewusst haben, warum in der 103 geschellt wurde, denn es dauerte zwar ein bisschen, bis sie kam, dafür brachte sie den »Sleeper« aber auch gleich mit.
Claudia schluckte ihn wie köstlichen Champagner. Dabei plauderte sie munter vor sich hin, als wäre dies wirklich ein Abend wie jeder andere, und zum krönenden Abschluss wurde sie dann auch noch ruppig.
»Nehm dat Milchglas auch gleich mit!«, fuhr sie Maria an, als die hastig wieder hinauslaufen wollte. »Sons suchse dat gleich, und dann bisse hier am Rumhampeln, und unsereinen kann wieder nich pennen!« Mit betont großer Geste leerte Claudia das Milchglas und drückte es der Schwester in die Hand.
»Ja, ja«, knurrte die, »ich werde den Schlaf der Gnädigen schon nicht stören.«
Dann wünschte sie allerseits eine gute Nacht und ging.
Claudia zwinkerte mir zu. »Siehse, Evken«, sagte sie und pfiff erleichtert durch die Zähne, »dat wa et schon, halb so wild, ne?«
Sie öffnete ihren Nachttisch und holte die beiden Zahngläser heraus.
»Bloß die musse ebent noch ausspüln. Machse ma?«
Erst in diesem Moment begriff ich wirklich, denn in diesem Moment musste ich nun begreifen, ob ich wollte oder nicht. Ich starrte auf die beiden leeren Gläser und in Claudias fröhliches Gesicht, ich starrte auf die kleine, weiße, tödliche Plastiktüte, die immer noch auf ihrem Nachttisch lag, jetzt aber leer und nur noch halb so zerknittert war.
… Es war zu spät … Claudia hatte längst getan, was sie hatte tun wollen, sie hatte über hundert Schlaftabletten geschluckt, während ich hilflos und nutzlos vor der Tür gestanden hatte … Es war endgültig zu spät.
Ich brach in Tränen aus. »Warum hast du das getan?«, schluchzte ich. »Ich hätte dir doch –«
»Dat musste sein, Evken!«
»Aber ich hätte dir doch –«
»Wegen dat Rechtliche musste dat so sein!«
»Aber ich hätte dir doch –«
»Eva!!!« Sie lächelte
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