Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
Vom Netzwerk:
»dann weiß ich ja, was auf mich zukommt. – Wenn es in Zukunft donnert, werde ich immer denken, dass du gerade mal wieder mit dem Fuß aufgestampft hast, und wenn es blitzt, werde ich das für deine bissigen Bemerkungen halten. Nebel … dann heckst du was aus! Hagel … Claudia demontiert ein Wölkchen! Regen …«
    Ich war so sehr mit mir und meinen Visionen vom Himmelreich beschäftigt gewesen, dass ich erst jetzt bemerkte, dass Claudia ihre Augen kaum noch offen halten konnte. Ihr ganzes Gesicht wirkte auf einmal so schlaff, da regte sich kein Muskel mehr.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich sie.
    »Mmh …«, brummelte sie zufrieden, »… würdese meine Hand halten …?«
    »… Natürlich!«
    Ängstlich und tapfer zugleich ergriff ich ihre Hand und hielt sie ganz fest, so fest, dass ich glaubte, Claudia nun nicht mehr verlieren zu können, egal, was geschah.
    Unsere Finger waren so eng ineinander geschlungen, dass sie untrennbar schienen, und der fahle Schein der Nachttischlampe fiel darauf wie ein heller Sonnenstrahl. Das war nicht das Ende, dachte ich mir, das war der Anfang, der Anfang eines neuen Lebens, eines Lebens ohne Claudia, aber mit den Erinnerungen an Claudia. Diese Erinnerungen kamen in dieser Stunde zu mir wie gute Freunde, die man lange nicht mehr gesehen und auf die man sich trotzdem verlassen konnte, weil sie einem von Herzen verbunden waren und nicht auf Zeit. All das, was einmal gewesen war, war plötzlich wieder ganz nah. Ich sah Claudia, wie sie mir an unserem ersten Tag ihre Glatze präsentiert hatte. »Na, is dat en Geck?«, wie sie mich gepflegt hatte, als es mir schlecht ging, wie hübsch sie gewesen war, als ihre Mutter heiratete, wie sie geweint hatte, als sie mir von ihren Metastasen erzählte. »Ich kann nich mehr. Und ich will auch nich mehr.«
    All das war Vergangenheit, und ich wusste, dass schon morgen auch diese Nacht Vergangenheit sein würde, unwiederbringlich wie jeder meiner Atemzüge.
    »Du wirst mir fehlen«, flüsterte ich Claudia zu, »du wirst mir fehlen, du –«
    Claudia war eingeschlafen, ich hatte es nicht bemerkt. Sie hatte die größte Reise ihres Lebens angetreten.
    Vor diesem Augenblick hatte ich mich wochenlang gefürchtet. Jetzt, da er da war, war er jedoch ganz anders, als ich ihn mir immer vorgestellt hatte. Ich empfand keine Angst und keine vorzeitige Reue, vielmehr war mir dieser Augenblick vertraut, denn er war, wie mein ganzes bisheriges Leben gewesen war: wie ein Sprung aus den Wolken. Vorher hatte ich Angst gehabt, hinterher würde ich mich erinnern, aber in diesem Moment, da ich sprang, … da war gar nichts … da wollte ich es nur richtig machen! Ich hatte keinerlei Verhältnis mehr zu dem, was ich da tat.
    Claudia schlief. Sie schlief tief und fest der Ewigkeit entgegen, und das Einzige, was ich spürte, war, dass sie mich mit jedem Atemzug mehr und mehr verließ. Ich hatte sie geliebt. Unsere Lebenswege hatten einander auf schicksalhafte Weise gekreuzt, und wir waren ein Stück miteinander gegangen. Ich würde sie auch über den Tod hinaus weiterlieben, das wusste ich. Das war schließlich das Einzige, was mir blieb, denn wie hieß es so tröstlich am Ende des 13. Kapitels des Korintherbriefes:
    »Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.«
    Sie war die Größte, die Allergrößte.
    Irgendwann löste ich meine Hand aus Claudias und band ihr vorsichtig den Seidenschal um den Kopf. Sie spürte es nicht, und wenn sie es spürte, so tat es ihr doch zumindest nicht weh. Dann schaltete ich die Nachttischlampe aus und schaute aus dem Fenster. Draußen war es dunkel und still, auch auf dem Gang regte sich nichts. Nur der Wecker, der auf dem Nachttisch stand, sang sein Lied … tick-tack … leb wohl … mehr war nicht. Claudia und ich waren allein, und für wenige Stunden glaubte ich, es gäbe nur uns beide in dieser Welt, sie und mich, und wir beide, wir warteten auf den Tod.
    Als er das Zimmer betrat, war es draußen noch dunkel. Ich spürte ihn sofort, denn von einem Augenblick zum anderen wurde es kühl um mich her. Zugleich wurden Claudias Atemzüge immer flacher und leiser. Keinen einzigen Laut gab sie von sich in dieser Nacht, sie schlief durch, sie kam ans Ziel, und als sie endgültig von mir ging, da war es draußen schon taghell, und die ersten Vögel zwitscherten in den Zweigen. Behutsam nahm ich ihr das Tuch vom Kopf, deckte sie ein letztes Mal fest zu, legte ihre Hände übereinander

Weitere Kostenlose Bücher