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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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von sich. Es klang, als würde man einen Schlüssel in ein Schloss stecken, ihn aber nicht umdrehen. Stundenlang ertrugen sie diese nervtötende, gespenstische Wiederkehr, und als das marternde Geräusch um siebzehn Uhr einundzwanzig zum fünfhundertunddreizehnten Mal ertönte, hatten sie sich bereits so sehr daran gewöhnt, dass sie es gar nicht mehr wahrnahmen.
    Zur gleichen Zeit hockte Doktor Behringer im Schwesternzimmer und griff erstmals nach vier Jahren Enthaltsamkeit wieder zu einer Zigarette.
    Professor Mennert, der seine Sekretärin schon vor Stunden gebeten hatte, keine Anrufe durchzustellen, saß stumm an seinem Schreibtisch und starrte auf mein Krankenblatt.
    Schwester Helma machte gerade das Bett eines Neuzugangs, Gertrud stand im Bad und puderte sich das Näschen – in diesem Moment, um Schlag siebzehn Uhr einundzwanzig am 10. Januar 1978 …
    So versank ein denkwürdiger Augenblick in der Zeit. Alle lebten ihn, aber keiner erlebte ihn wirklich.
    Der Oberarzt der Chirurgischen Klinik meldete, den letzten Faden gesetzt zu haben. Es war vollbracht: Die Operation war gelungen, der Patient hatte überlebt, für die anderen war damit das Schwierigste geschafft – jetzt war ich an der Reihe!
    »Heben Sie mal bitte den Kopf! Heben Sie mal bitte den Kopf! Frau Martin, den Kopf heben! Den Kopf, Frau Martin! Bitte mal den Kopf heben …! …«
    Es war die Stimme einer Frau, die mich da so quälte. Blechern schlug sie auf mich ein, und ich hätte viel dafür gegeben, wenn da ein Knopf gewesen wäre, um sie abzuschalten. Ich wollte schlafen … schlafen … einfach nur schlafen. Aber die Stimme gab nicht auf. Unentwegt und mit unverminderter Lautstärke spie sie mir ihre Aufforderung ins Gesicht, meinen Kopf anzuheben. Ich versuchte es. Es fiel mir schwer. Mein Körper schien noch in anderen Sphären zu schweben, ich spürte ihn nicht. So dauerte es geraume Zeit, bis ich meinen Nacken fühlen konnte, bis es mir gelang, meine Muskulatur anzuspannen, das Kinn Richtung Brust zu schieben, den bleischweren Schädel aus den Kissen zu heben … es kam einem Gewaltakt gleich, was die Frau mit der blechernen Stimme jedoch zu würdigen wusste.
    »Jawohl!«, rief sie mir zu. »Jawohl!«
    Danach hielt sie endlich ihren Mund, ich durfte weiterschlafen, schlafen, tief schlafen …
    Es war Sommer, und ich war in Italien. Ich lag im warmen Sand und blickte aufs Meer hinaus. Himmel und Wasser waren tiefblau, die Wellen plätscherten sanft, wie sie es an windstillen Tagen immer taten, und es wehte kein Lüftchen. Ein Motorboot jagte den Horizont entlang, einen Wasserskifahrer im Schlepp. Schneeweißer Schaum umspülte seinen Körper, mir war so heiß. Ich wollte aufstehen. Ich wollte aufstehen, mich in das kühle Wasser gleiten lassen und zum Horizont schwimmen, eintauchen in den erfrischenden Schaum … aber ich konnte nicht aufstehen. Ich lag in dem warmen Sand, und ich konnte mich einfach nicht bewegen, und mir war so unerträglich heiß, und die Sonne brannte auf mein Gesicht …
    Meine Augen waren geblendet vom grellen Licht der Neonröhren über mir, und es dauerte einige Minuten, bis ich meine Umgebung wahrnahm. Ich lag nicht in Italien am Strand, ich lag auf der Intensivstation. Die Wände waren gläsern, man konnte mich von drei Seiten aus betrachten, und durch das Fenster strahlte der Mond, als wollte auch er sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen.
    Meinen Körper spürte ich immer noch nicht. Ich sah ihn zwar daliegen, aber bewegen konnte ich ihn nicht. Der Speichel troff mir aus dem Mund, und als ich die Lippen schließen und schlucken wollte, gelang mir das nicht. Das ängstigte mich ungemein, und ich beschloss, dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Infundiert wurde ich per Dauerkanüle. Sie lag in der Halsvene, folglich waren meine Arme frei … frei? Der linke war festgeschnallt und angeschlossen an den Blutdruckmesser, der rechte lag regungslos auf der Bettdecke. Ich versuchte, ihn anzuheben – unmöglich. Ich versuchte, eine Faust zu machen – unmöglich. Endlich gelang es mir, die Finger zu bewegen, nur ganz leicht, kaum sichtbar, aber immerhin. Als Nächstes kamen die Beine an die Reihe. Wie schwere Eisenstangen lagen sie auf der Matratze, und hätte ich das nicht gespürt, wäre ich nicht einmal sicher gewesen, dass es überhaupt meine Beine waren. Sie hätten ebenso gut irgendeinem Fremden gehören können. Leise begann ich zu wimmern. Ich hörte das ganz deutlich, und ich fand es furchtbar,

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