Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Der Assistent starrte mich überrascht an, während sein Chef glauben wollte, er hätte mich mit seiner Art überzeugt. Ich klärte sie beide nicht auf. Sie hätten mich wohl auch kaum verstanden, denn ich konnte mich ja selbst kaum verstehen. In meinem Kopf herrschte Verwirrung, ebenso in meiner Seele, da kam es auf eine körperliche Verwirrung nicht mehr an, und außerdem hatte ich insgesamt vierzehn Operationen hinter mir und nur sieben Jahre Leben vor mir, sodass eine Operation mehr und ein paar Tage Leben weniger auch keine Rolle mehr spielten. So zeigte ich mich ohne ein einziges Widerwort mit allem einverstanden und hatte damit die Herren von der Gynäkologie voll auf meiner Seite.
Dafür war Professor Mennert dann gegen mich – damit ich nicht aus der Übung kam. Er erklärte mir, kaum dass ich wieder in meinem Zimmer war, wie hirnrissig dieser Eingriff doch wäre, wie kurzsichtig und wie unüberlegt ich meine Entscheidung getroffen hätte, und zum guten Schluss nannte er seine Kollegen dann auch noch »Pappnasen«. »Überlegen Sie doch mal, wie oft Sie schon operiert worden sind!«, tobte er. »Bei der großen OP hatte jeder Angst vor den Auswirkungen der Narkose auf ihren geschwächten Kreislauf, und jetzt kommen diese Pappnasen daher und wollen mal eben eine Ausschabung machen! Aber das werde ich nicht zulassen! Ich werde nicht zulassen, dass meine Patienten wie Versuchskaninchen behandelt werden.«
Er führte sich auf, dass die Blumenvase, die auf meinem Nachttisch stand, zu klirren begann – das nutzte ihm nur auch nichts. Es blieb bei der Operation. Gleich auf den nächsten Tag wurde sie angesetzt, und abgesehen von Professor Mennert waren damit alle einverstanden. Ich war es zumindest. Der Eingriff an sich war mir völlig unwichtig, was für mich zählte, war ausschließlich Jan Reinders. Im OP musste ich ihn wiedersehen, davon war ich überzeugt, denn es ging hier ja immerhin um ein Wunder, um mein Wunder! Dieser Mann, der mir so unendlich viel bedeutete, würde mir morgen auf irgendeine Art und Weise klar machen, dass sich mein Leben auch für lächerliche sieben oder zehn Jahre lohnte. Damit rechnete ich fest, und deshalb hatte ich nicht einmal ansatzweise ein Gefühl von dumpfer Vorahnung, als ich an diesem Abend schlafen ging. Ich erinnerte mich später nur noch, dass ich noch sehr lange wach gelegen und immer wieder auf meine Armbanduhr gesehen hatte. Beim letzten Mal zeigte sie dreiundzwanzig Uhr zehn, und wenn
es mir möglich gewesen wäre, in die Zukunft zu sehen, hätte ich gewusst, dass ich in diesem Augenblick noch genau dreizehn Stunden und siebzehn Minuten Zeit hatte. Denn genau dreizehn Stunden und siebzehn Minuten später sollte das Wunder geschehen, auf das ich so sehr hoffte, ein anderes Wunder – und nichts sollte mehr sein, wie es einmal war …
Das Wunder, das mir an diesem 23. März 1978 widerfahren sollte, hatte sehr viel Ähnlichkeit mit einem Erdbeben. Sein Hypozentrum lag tief in mir, und obwohl ich mir dessen bis zuletzt nicht wirklich bewusst war, spürte ich doch die Vorzeichen, die leichten Vorbeben. Insgesamt gab es davon drei, und das erste fand bereits am frühen Morgen statt, genau dreihundertundfünfzehn Minuten vor der Stunde null: Der Dienst habende Narkosearzt betrat mein Zimmer.
Er war noch ein ziemlich junger Mann mit zerzaustem Haar, frisch gestärktem Kittel und nervösen Gesten. Mein Krankenblatt schwenkte er wie eine Kriegserklärung an seine Zunft; verzweifelt bat er mich um mein Einverständnis mit der Sakralanästhesie.
»Das ist relativ ungefährlich«, sagte er, »wir spritzen Ihnen ein Betäubungsmittel in den Rückenmarkskanal und –«
»Nein!«, unterbrach ich ihn sofort. »Das will ich nicht. Ich habe gehört, dass man davon querschnittgelähmt werden kann!«
Mein Gegenüber war völlig verwirrt. »Aber ich bitte Sie«, stammelte er, »so was kommt höchstens alle zehn Jahre mal vor …«
»Und wenn die heute gerade um sind?«
»Frau Martin!«
»Nein, das ist mir zu gefährlich.«
»Aber die Totalanästhesie ist doch noch viel gefährlicher. Sie müssen bedenken, dass Ihr Herz und der Kreislauf von der Chemotherapie und den vielen Narkosen –«
»Nein!«
Unbarmherzig beharrte ich auf meinem Standpunkt, und das, obwohl ich nicht einmal mehr wusste, wer mir den Floh mit der Querschnittlähmung ins Ohr gesetzt hatte. Das war jetzt aber auch gleichgültig. Den Herrn Narkosearzt ärgerte das sehr, und er ließ nichts unversucht. Fast
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