Zwei Frauen: Roman (German Edition)
innerer Ruhe geschenkt, jetzt machte er mich plötzlich unruhig. Ich kam mir vor wie eine Marionette, die mittels schicksalhafter Fäden gelenkt wurde, die das Ärmchen hob, wenn man an der entsprechenden Schnur zog, und die in sich zusammenfiel, wenn man das Fädengespinst losließ. Nichts an mir war selbstständig, ich war lediglich ein Werkzeug, und dagegen konnte ich mich nicht einmal wehren. Ich war machtlos, ausgeliefert … und so begann ich an meinen eben erst neu gewachsenen, ohnehin noch sehr kurzen Fingernägeln herumzureißen, knabberte an der Nagelhaut, bis es blutete. Ich musste mich einfach selbst zerstören, ich konnte gar nicht anders. Ich hatte Gott mein Überleben abgerungen, und dafür strafte Er mich jetzt, denn ich hatte Seine Pläne durchkreuzt mit meinem Dickkopf. Deshalb durfte ich nun zwar leben, wenn auch nur für gewisse Zeit, doch durfte ich auch in dieser gewissen Zeit niemals leben wie all die anderen, durfte niemals lachen, lieben und träumen wie all die anderen … das Glück war eben nur etwas für die anderen …
Am Vormittag des 21. März machte mir Professor Mennert seine Aufwartung. Zwei Wochen lang hatte er sich nicht bei mir sehen lassen. Jetzt stand er plötzlich da und versuchte, mich beim Resignieren zu stören, indem er das herrliche Wetter bejubelte und die angeblich »mehr als ordentlichen« Zwischenergebnisse meiner Bestrahlungen. Ich ließ mich gar nicht beirren. Mennerts Umgang mit Problempatienten war mir mittlerweile bestens vertraut. Er ließ sich auf das Genaueste informieren, bis er alle noch so winzigen Details kannte, und dann tat er so, als hätte er von allem nicht die geringste Ahnung. Das ermöglichte ihm, ein völlig unbefangenes Spiel zu spielen, und so machte er es jetzt auch mit mir.
Unser letztes Gespräch erwähnte er mit keiner Silbe, was seitdem geschehen war, schien nicht bis zu ihm vorgedrungen zu sein, er war ganz und gar der liebe, gute Professor. Ich ließ mich aber in meiner Resignation nicht stören und ignorierte seine blendende Laune. »Mmh!«, meinte er dazu und setzte sich ans Fußende meines Bettes. »Wenn meine Enkeltochter so guckt, nenne ich das wütig . Sind Sie wütig, Eva?«
»Bestimmt nicht!«, seufzte ich dann. »Wut hat nämlich etwas mit Kraft zu tun, Herr Professor … und ich habe keine Kraft mehr!«
»Aha!« Mennert schien nicht gerade beeindruckt zu sein.
»Irgendwann ergeht das sicher jedem so«, fügte ich deshalb mit leidender Stimme hinzu. »Man begreift, dass man nicht mehr kämpfen kann, dass man nicht mehr kämpfen will …«
»Aha!«
»… das dürfen Sie mir ruhig glauben!«
Der Professor schmunzelte; ich war fassungslos.
»Geben Sie Acht, Eva! Menschen wie Sie hören nämlich niemals auf zu kämpfen – das dürfen Sie mir glauben!«
»Aber –«
»Menschen wie Sie ruhen sich nur von Zeit zu Zeit mal aus und denken dann gleich, das wäre das Ende.«
»Ist Resignation nicht das Ende?«
»Was Sie empfinden, ist keine Resignation, Eva. Sie haben nämlich noch jede Menge Träume, auch wenn Sie das nicht zugeben wollen, und wer Träume hat, der hat auch Ziele. – Und ein intelligenter Mensch kämpft darum, seine Ziele zu erreichen. Sind Sie intelligent?«
Ich wurde rot wie ein Schulmädchen und fand, das bliebe bei einer solchen Gewissensfrage auch gar nicht aus.
»Gemeiner Kerl!«, murmelte ich und rutschte tiefer in meine Kissen, zog mir das Oberbett bis zur Halskrause.
Mennert lachte darüber. »Also doch wütig!«, meinte er. »Na, dann passen Sie mal auf, gleich sind Sie es noch ein bisschen mehr. Die Kollegen von der Gynäkologie machen sich nämlich nach wie vor Sorgen um Ihre holde Weiblichkeit und möchten Sie sehen. Ich habe zugesagt, dass Sie morgen Früh zu einer Untersuchung kommen. Einverstanden, Eva? –
Eva? – Eva!!!«
»Wie?«
»Sie waren doch seit Monaten nicht mehr bei den Gynäkologen, und deshalb habe ich jetzt –«
»Morgen?«
»Ja …«
»Morgen Früh?«
»… Um elf … – sagen Sie mal … – nun ja!«
Dass Professor Mennert verwirrt war, konnte ich nur zu gut verstehen, und dafür, dass er dieser Verwirrung keinen weiteren Ausdruck verlieh, war ich ihm von Herzen dankbar.
Gynäkologie! Dieses Wort war für mich gleichbedeutend mit Reinders, und dieser Name brachte meine Seele zum Klingen. Morgen Früh um elf sollte ich ihn wiedersehen, ich konnte es kaum erwarten. Er war das Wunder, auf das ich insgeheim so sehr gehofft hatte, davon war ich überzeugt. Vergessen
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