Zwei Frauen: Roman (German Edition)
auch »einer von hier« war. Vor zwei Tagen hatte er mich besucht. Ich hatte geglaubt, meinen Augen nicht zu trauen. Er war da, der Mann mit dem dunkelblonden Haar, den blauen Augen, der kantigen Nase und dem samtigen Mund, der Mann mit dem ewig jungenhaften Flair, der Mann, der mich durch Traum und Wirklichkeit verfolgte und begleitete, er war da, und am liebsten wäre ich aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. Stattdessen hauchte ich: »… n’ Abend …!«
»Störe ich?«
»… Nein …«
Er lachte. »Das klingt aber nicht gerade überzeugend!«
»Was?«
»Ihr Nein .«
»Welches Nein ?« Ich war so durcheinander, dass ich nicht nur nicht wusste, was ich sagte, sondern überdies um Haaresbreite den Nagellackpinsel in den Mund gesteckt und angezündet hätte.
»Ich würde bei herkömmlichen Zigaretten bleiben«, riet Reinders mir im letzten Moment, und dann erklärte er mir, dass er nur hergekommen wäre, um sich von mir zu verabschieden.
»Denn dass Sie zu mir kommen, durfte ich ja wohl nicht erwarten nach alldem.«
Ich schluckte und legte endlich den blöden Nagellackpinsel zur Seite. Nicht nur meine Angst hatte mich davor zurückgehalten, Jan Lebewohl zu sagen, das wurde mir jetzt auf einmal klar. Da war auch noch etwas ganz anderes: Der Schmerz, ihn danach vielleicht nie wiederzusehen, war größer gewesen als die Sehnsucht, ihn vielleicht ein letztes Mal zu sehen. Diesen Schmerz empfand ich deutlich in diesem Augenblick, und während ich mich ihm ergab, rutschte ich unbewusst an den Rand meines Bettes und zog ebenso unbewusst das Oberbett glatt, damit Jan bequem darauf Platz nehmen konnte. Er schmunzelte darüber, aber er nahm das Angebot nicht an, wodurch mir erst klar wurde, dass ich es gemacht hatte. Sofort nahm mein Gesicht die altbekannte Mädchenröte an, ich hätte mir vor Wut über mich selbst in die unmöglichsten Stellen beißen können. Darüber reichte er mir die Hand. »Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute, Eva!«
»Danke …!«
»Dass Sie gesund bleiben!«
»Ja …«
»Und dass Sie glücklich werden!«
»Ja!«
»Und dann hätte ich noch gern gewusst, ob Sie nächsten Samstag schon etwas vorhaben!«
Meine Augen fingen an zu strahlen, das spürte ich genau, und seine Hand, die mir eben noch wie eine ganz normale Menschenhand vorgekommen war, erschien mir plötzlich wie ein Starkstromkabel, es ruckte und zuckte in meinem ganzen Körper. Verlegen blickte ich auf, blickte auf zu diesem Zwei-Meter-Mann, der in Kilo das Gleiche auf die Waage brachte wie ich in Pfund. »Unterrockstürmer« nannte man ihn in der Klinik, »Allesfresser« und »Potenzbrocken«, und eigentlich hatte ich keine Lust, die vierhundertundzweiundsiebzigste Eroberung in seinem Leben zu werden, dazu eignete ich mich nicht … obwohl … schon sah ich mich mit Jan in einem Restaurant sitzen, bei Kerzenschein, sah, wie ich an seiner Seite einen Waldweg entlangschlenderte, wie wir unter einer saftig grünen Linde stehen blieben, und er mich in die Arme nahm und …
»Nächsten Samstag?«, hörte ich mich da auch schon nachfragen.
»Ja.«
»Um wie viel Uhr?«
Er musste lachen. »Ich wäre dankbar, wenn wir das telefonisch ausmachen könnten, weil … nun, wir haben heute den 30. April, und Sie sind Patientin in dieser Klinik, und ich bin Arzt in dieser Klinik – und das möchte ich gern bleiben.«
»Und?« Ich verstand kein Wort.
»Das ist ganz einfach«, erklärte er mir daraufhin. »Am Mittwoch haben wir den 3. Mai, und da waren Sie dann mal Patientin in dieser Klinik … kann ich Sie am Mittwoch anrufen?«
Ich nickte, und er ließ meine Hand los, lächelte mich an.
»Steht die Nummer im Telefonbuch?«
»Kastanienallee 34«, hauchte ich.
»Sonst muss ich nämlich in der Krankenakte nachsehen, und –«
»Schon gut!«
Noch immer lächelte er mich an, und mir wurde plötzlich klar, dass er mich so bisher noch nie angelächelt hatte. Nichts Unverschämtes oder Siegessicheres lag in diesem Lächeln, es war einfach nur da, und ich wünschte mir, es möchte niemals wieder vergehen. Jan spürte das, und für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde er sich doch noch zu mir setzen wollen, mitten auf das glatt gestrichene Oberbett. Doch dann entdeckte er wohl die Angst, die trotz allem in mir war, eine Angst, die stärker war als ich und gegen die ich nichts, aber auch rein gar nichts ausrichten konnte. Es war die Angst eines Kindes, etwas Verkehrtes zu tun oder zu sagen, und ich wusste genau, dass
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