Zwei Frauen: Roman (German Edition)
und zugibst, dass du Krebs hattest, behandeln sie dich sofort wie einen Krüppel!« Das hatte eine Patientin irgendwann einmal behauptet. »Die bemerken dann Dinge, die gar nicht vorhanden sind, dass du müde bist, zum Beispiel, oder dass du schlecht aussiehst, dass du abgenommen hast, … dass man es dir halt anmerkt!«
Deshalb hatte diese Patientin nach ihrer Entlassung immer und überall erzählt, sie wäre lange im Ausland gewesen … und das schien mir eine kluge Idee zu sein.
Ich setzte mich auf mein Bett und blickte aus dem Fenster. Auf meinem Nachttisch lag ein Brief, den Daniela mir aus den Ferien geschrieben hatte, ein Brief, mit dem sie es so eilig gehabt hatte, dass rückreisende Gäste ihn mitnehmen und in Deutschland aufgeben mussten. Mindestens zehnmal hatte ich ihn an diesem Morgen schon gelesen, jetzt nahm ich ihn noch einmal zur Hand.
»Liebe Eva!«, fing er an, und dann folgte eine Hymne auf Lanzarotes unvergleichliche Vulkanlandschaft und auf das Hotel mit seinem traumhaften Swimmingpool und seinen lukullischen Genüssen. »Doch deshalb schreibe ich dir diesen Brief nicht«, ging es dann weiter, »das hat andere Gründe. Ich habe hier nämlich gleich bei meiner Ankunft einen jungen Mann kennen gelernt, der vor zwei Jahren bei uns in der Klinik seine Freundin verloren hat. Er heißt Bertram Schuster, und ich nehme an, dass du dich ebenso gut an den Namen erinnerst wie ich. Er ist mittlerweile mit der Frau verheiratet, mit der er damals schon zusammenlebte, und die beiden haben auch einen kleinen Sohn, der ein knappes Jahr alt ist. Als dieses Kind gerade geboren war, hatte die Familie einen schweren Autounfall. Bertram sah den anderen Wagen etwas zu spät, und er bremste etwas zu spät, aber ihm und dem Kind ist nichts passiert. Lediglich seine Frau trug schwere Hirnverletzungen davon, und sie lebt seitdem in einem Heim. Ich habe mich wahnsinnig erschreckt, als ich das erfuhr, und ich kann mir denken, dass es dir jetzt nicht anders ergeht. Noch zu genau erinnere ich mich an diese Nacht, in der Ina starb, und an Claudias Verhalten …«
Ich ließ den Brief sinken und blickte auf das leere Bett mir gegenüber an der Wand. Claudia Jacobys Fluch hatte sich also erfüllt, Gott hatte gestraft. Doch hatte Er in all seiner Weisheit den Menschen gestraft, der wirklich schuld gewesen war am traurigen und einsamen Tod der kleinen Ina Peters.
Nicht Bertram hatte Ina im Stich gelassen, sondern Sylvia hatte Bertram mit weiblicher List dazu gebracht, Ina im Stich zu lassen. Nun zahlte sie dafür. Es gab also tatsächlich eine Gerechtigkeit in dieser Welt, und das in dieser Stunde schwarz auf weiß vor mir zu sehen, gab mir Mut für die Zukunft.
»Alle Achtung!« Dass Professor Mennert hereingekommen war, hatte ich gar nicht bemerkt. Jetzt stand er schon mitten im Zimmer und wies anerkennend auf meine Aufmachung. »Wirklich, Eva: alle Achtung!«
Ich legte den Brief zur Seite und stand auf.
»Gefalle ich Ihnen?«
»Wenn ich jünger wäre, würde ich jetzt mit der Zunge schnalzen!«
»Aber Herr Professor …!« Ich lächelte ihn an.
»Sind Sie so weit?«, fragte er dann.
»Fast. Nur noch ein paar Kleinigkeiten!«
»Nur noch ein paar Kleinigkeiten!«, wiederholte er amüsiert. »Das kenne ich von meiner Frau. Am Ende ist die Brüh’ dicker als die Brocken, wie man so schön sagt, das heißt, am Ende wiegen die Kleinigkeiten im Handgepäck ebenso viel wie die zwei Koffer zusammen. – Eva … Ich müsste da noch etwas mit Ihnen besprechen …«
Gleich von Anfang an hatte ich so etwas geahnt. Ein plaudernder Mennert war immer ein besonders gefährlicher Mennert. Er setzte sich auf Claudias Bett und sah mich an. »Na, kommen Sie, Eva. Setzen Sie sich für einen Moment zu mir!« Er klopfte mit der Hand neben sich auf die Matratze, und das wirkte so einladend, dass ich das Angebot einfach annehmen musste. »Tja …«, hob er dann an, »Sie haben es also geschafft … und jetzt sind Sie froh, nicht wahr?«
Ich verzog das Gesicht. »Wunderschönes Wetter draußen!«, parierte ich. »Nicht wahr? – Und gut geschminkt bin ich! Nicht wahr?«
Er schmunzelte.
»Ist es mal wieder so schwer, Herr Professor?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte er nach einem tiefen Seufzer, »aber bei Ihnen …«
Ich konnte mir denken, worum es ging, und deshalb beschloss ich, der Angelegenheit besser gleich auf meine Art zu begegnen. Betont langsam griff ich zu meinem Zigarettenetui und zu meinem Feuerzeug, betont langsam nahm ich
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