Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Architektur tat nun das ihre dazu.
Das Gelände der Klinik war ein verwirrender Gebäudekomplex. Die einzelnen Fachbereiche waren in mehr oder minder imposanten Hochhäusern untergebracht und durch asphaltierte Wege und Grünzonen miteinander verbunden. Damit sich Menschen meiner Art darin zurechtfanden und die zeitungslesenden Pförtner nickt belästigt wurden, hatte die Klinikverwaltung an strategisch wichtigen Stellen genial ausgetüftelte Hinweisschilder angebracht. Auf so ein Schild ging ich geradewegs zu – und erschrak.
Chirurgische Klinik stand da geschrieben, und ein Pfeil zeigte nach links, Hals-Nasen-Ohrenklinik : rechts, Augenklinik : halblinks, Frauenklinik : halbrechts, und so weiter. Die Medizinische Klinik war gemäß dem Hinweisschild über mir in den Wolken zu finden, denn der Pfeil zeigte nach oben. Er zeigte aber nicht gerade nach oben, nein, der Aufwärtstrend verlief genau in der Mitte zwischen links und halblinks, unterhalb der Gastroenterologischen Klinik, die neben dem Hörsaal und der Bibliothek schräg gegenüber der Mensa zu finden war. Es war also ganz einfach, so einfach, dass ich es gar nicht erst versuchte und mich gleich an einen vorübereilenden weißen Kittel wandte.
»Entschuldigen Sie«, sprach ich ihn höflich an, »können Sie mir sagen, wie ich zur Medizinischen Poliklinik komme?«
Er blieb nicht einmal stehen. »Gucken Sie am besten da auf den Wegweiser!«, rief er mir im Vorübergehen zu. Dann war er auch schon fort.
Mein Zorn war unbeschreiblich, wenn auch sinnlos. Fauchend wie eine Raubkatze, warf ich einen letzten Blick auf das verwirrende Hinweisschild und machte mich alsdann mürrisch auf den Weg nach »oben«. Der führte vorbei an Blumenrabatten, an großen Wiesen und laubenartigen Sitzecken, an lehmverdreckten Baustellen, denn fast jeder zweite Fachbereich wurde um- oder ausgebaut. Der Zugang zur Medizinischen Poliklinik, der mir mehrmals zum Greifen nahe schien, wurde mir versperrt durch metertiefe Baggerlöcher. Das Labyrinth gab mich nicht frei, und erst im dritten Versuch, nach etwa vierzig Minuten Fußweg mit schwerem Gepäck, erreichte ich die Aufnahme, wo man mich bereits erwartete.
»Sind Sie mit dem Bus gekommen?«, fragte mich die junge Schwester, die meine Personalien aufnahm. Sie war kaum älter als ich, ein frisch gewaschener und gestärkter Typ, der nach Hygiene und Menschlichkeit roch. Nach allem, was ich hinter mir hatte, stank mir das auf Anhieb.
»Sehe ich nach Bus aus?«, gab ich schroff zur Antwort. Das Mädchen lächelte verlegen, ließ aber nicht davon ab, mir eine Erklärung für mein Zuspätkommen abzuringen.
»Hatten Sie Schwierigkeiten, uns zu finden?«, fragte sie nach kurzer Atempause.
»Kaum!«, erwiderte ich schnippisch. »Beim nächsten Mal werde ich allerdings ein Zelt mitnehmen.«
»Wieso?«
»Falls ich unterwegs rasten muss!«
Die Kleine konnte mit meinem Humor offenbar nichts anfangen, denn sie wechselte die Farbe und sorgte dafür, dass mir mein schlechter Ruf mit orkanartiger Geschwindigkeit vorauseilte. Das gefiel mir. Bewusst kehrte ich meinen Klapperschlangen-Charme hervor, um sowohl mir als auch Frau Gruber zu beweisen, dass ich sehr wohl in der Lage war, mich in dieser Mediziner-Welt zu behaupten. So spielte ich beim EKG gelangweilt mit meinen Brillantringen, sandte den Schwestern, die meine Haute-Couture-Jacke bewunderten, ein hybrides Lächeln, und als der Aufnahmearzt mich schließlich völlig verunsichert fragte, ob ich etwas mit dem US -Konzern Martin zu tun hätte, zog ich gar im Stil von Frau Gruber die Augenbrauen hoch. Das wirkte. Knapp fünf Minuten später war ich in der Obhut des Dienst habenden Oberarztes, und der entschuldigte sich tausendfach, nicht der Chefarzt persönlich zu sein. Stotternd und wild gestikulierend, führte er mich in ein wenig komfortables Zweibettzimmer und meinte verlegen: »Wir … wir sind ein … klassenloses Krankenhaus …!«
Ich nickte majestätisch mit dem Haupte und ließ mich auf der Bettkante nieder. Derweil trat er ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Wir … wir werden Sie über das Wochenende auf die einzelnen Untersuchungen vorbereiten, Frau Martin, und –«
»Auf was für Untersuchungen?«, wollte ich wissen.
»Oh …!«, der Herr Doktor griff hastig in seine Kitteltasche und zog einen Spickzettel hervor, dann räusperte er sich.
»Montag früh Rektoskopie, Dienstag KE , Mittwoch mdp, gegebenenfalls Donnerstag oder Freitag Endoskopie, vielleicht noch eine
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