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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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nicht rauchen sollen!«
    Das Gerippe namens Claudia klimperte unschuldig mit den Wimpern. »Ich werd schon nix ankokeln«, krächzte sie und zeigte mit dem Finger auf mich. »Wer is dat dann?«
    Während Gertrud mich vorstellte, machte ich mir klar, dass es sich hier um eine unheimliche Begegnung der dritten Art handelte. Dieses ausgezehrte Ungeheuer war nicht nur das hässlichste Menschenkind, das ich je gesehen hatte,
es sprach auch finsterstes Kohlenpott-Deutsch, frei nach dem Motto: Komms über allem, auch überm Dativ. Mein Entsetzen verstärkte sich noch, als sie mir das zu ihrem spindeldürren Ärmchen gehörige spindeldürre Händchen entgegenstreckte und mit krächzender Stimme erklärte: »Tach, ich bin Claudia Jacoby, chronische lymphatische Leukämie.«
    Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht. Ich schluckte und reichte ihr widerwillig die Hand.
    Das amüsierte sie.
    »Du siehs ja noch richtig appetitlich aus«, meinte sie höhnisch, »sind die Haare echt?«
    So eine Frage hatte man mir noch nie gestellt, und entsprechend Hilfe suchend blickte ich zu Schwester Gertrud, die mein Gepäck mittlerweile aufs Bett gestellt hatte.
    »Claudia«, säuselte die daraufhin, »ich bitte Sie!«
    »Wat denn? Werd doch wo noch fragen dürfen?«
    »Claudia!«
    »Wieso spricht die nich?«
    »Claudia!!!«
    Da reichte es dem Gerippe. »Claudia! Claudia!«, äffte sie Gertrud nach. »Sie kotzen mich an!«
    »Aber das weiß ich doch.«
    Gertrud sagte das mit einer solchen Freundlichkeit, dass ich mich fassungslos auf der Bettkante niederließ.
    »Nehmen Sie es Claudia bitte nicht übel, Eva, sie ist manchmal ein bisschen direkt. Soll ich Ihnen nicht beim Auspacken helfen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gut, dann gehe ich jetzt. Wenn Sie etwas brauchen, Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Sie können auch schellen.«
    Dann ließ sie mich mit dem Ungeheuer allein.
    Zuerst wagte ich gar nicht, sie anzusehen. Ich spürte ganz deutlich, wie mich die Blicke dieser Claudia Jacoby durchbohrten, und ich hatte Angst vor diesen Blicken, wie ich Angst vor ihrem Anblick hatte. So stand ich erst einmal auf und trat ans Fenster. Gegenüber war die Kinderklinik, ein weiß getünchter Flachbau mit bunt bemalten Fensterscheiben. Da waren Clowns, die nach den Sternen griffen, Blumen, die in den Himmel wuchsen, Schmetterlinge, die diese Welt umkreisten, Kinderträume auf trübem Glas.
    Unmittelbar vor dem Fenster stand eine Linde, deren kahles Geäst zum Greifen nahe schien. Auf einem der Zweige saß ein kleiner Vogel und schimpfte, was Claudia offenbar inspirierte.
    »Bisse stumm?«, krächzte sie aufgebracht. »Oder hasse en Gelübde abgelecht?«
    Langsam drehte ich mich zu ihr um und wagte endlich, sie anzusehen. Dabei spürte ich, wie der Anblick in meinen Augen schmerzte. Dieses Gesicht! Dieser Körper! Dieser bunt bedruckte Fummel, der ein Nachthemd sein sollte!
    »Gefall ich dir?«, zischte sie.
    Ich wagte nicht zu antworten.
    »Du sprichs wo nich mit jeden, wie?« Ihre Finger trommelten nervös auf die Nachttischplatte. »Dat gibt et doch nicht!«
    Dann hatte sie einen Geistesblitz. »Hier, ich zeich dir wat!«
    Ich ahnte nichts Böses und sah ihr dabei zu, wie sie mit flinken Bewegungen den Schal von ihrem Kopf abwickelte, Schicht für Schicht. Er bestand aus einer meterlangen Stoffbahn, und ich fürchtete schon, es würde am Ende nichts übrig bleiben, was an einen Schädel erinnerte, aber es kam noch schlimmer. Als ich sah, was ich sehen sollte, schwankte der Boden unter meinen Füßen. Claudia saß da, die Stoffberge in der Hand, und ihr Kopf war kahl, kein einziges Haar, eine spiegelblanke Glatze.
    »Na?«, griente sie. »Is dat en Geck?«
    Da fasste ich mich. Ich setzte mich wieder aufs Bett und holte tief Luft. »Du hast Leukämie?«, erkundigte ich mich feierlich. Claudia klatschte begeistert in die Hände.
    »Die kann ja reden«, jubelte sie, »en Wunder! – Klar hab ich Leukämie. Wieso?«
    Ich war verlegen und stotterte wie ein Kind. »Ich … ich dachte immer, … dass man … daran stirbt!«
    »Tut man auch! Ich tu seit vierzehn Monate nix anderet. Ich sterb und sterb und sterb. Aber so flott wie int Kino geht dat inne Wirklichkeit nu ma nich.«
    Ich war erschüttert. Krankheit und Tod waren für mich immer etwas gewesen, was mit dem Alter zu tun hatte. Diese Claudia war aber noch nicht alt. Dass sie trotzdem so unbefangen über ihr Sterben sprach, rührte mich fast zu Tränen. Sie verstand das nicht. »Wat machse denn

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