Zwei Frauen: Roman (German Edition)
hinaus. Das alles war zu viel für einen einzigen Menschen an einem einzigen Tag. »Schwester!«, kreischte ich immer wieder, »Schwester!«
Schließlich hatte ich Erfolg, und Gertrud steckte ihr schönes Haupt durch einen Türrahmen.
»Oh, Eva … ist irgendetwas?«
»Allerdings!«, fauchte ich. »Ich will den Arzt sprechen, und zwar sofort!«
Sie wagte sich vor und wollte mich beruhigen, aber ich ließ sie erst gar nicht so weit kommen.
»Was ist das hier für eine Station?«, regte ich mich auf. »Was ist das für ein halb totes, ausgezehrtes Ungeheuer da in meinem Zimmer? Warum spricht hier niemand mit mir wie mit einem mündigen Bürger? Wenn Sie mir nicht umgehend einen Arzt herschaffen, der mir das ganze Theater hier erklärt, dann nehme ich meine Klamotten und gehe nach Hause!« Ich bildete mir ein, Gertrud eingeschüchtert zu haben. Die stand aber nur da und lächelte.
»Sind Sie fertig?«, fragte sie.
Das brachte mich völlig aus dem Konzept. »Wie?«
»Ich habe gefragt, ob Sie fertig sind!«
»… Ja!«
»Gut. Ausbrüche dieser Art stehen hier nämlich auf der Tagesordnung, Eva. Glauben Sie also bitte nicht, dass mich das beeindruckt. Herr Doktor Behringer wird heute Nachmittag zu Ihnen kommen, und bis dahin müssen Sie sich gedulden. Gehen Sie jetzt bitte in Ihr Zimmer, ziehen Sie sich aus und legen Sie sich ins Bett!«
So knapp und präzise hatte mich bisher nur Frau Gruber in meine Schranken gewiesen. Ich fühlte mich zutiefst gedemütigt, und am liebsten wäre ich der schönen Gertrud an die Kehle gesprungen. Meine gute Erziehung bewahrte mich jedoch davor, und so begnügte ich mich damit, ihr einen dramatischen Abgang zu liefern. Dabei knallte ich die Zimmertür, dass sie fast aus dem Rahmen fiel – Vorhang!
Die folgenden Stunden verbrachte ich im Bett. Durch das Fenster drangen die Strahlen der Märzsonne. Es war ein trügerisches Licht, das nicht zu wärmen vermochte, und ebenso trügerisch war meine Ruhe. Immer und immer wieder schminkte ich mein Gesicht, und da das Ungetüm Claudia so etwas offenbar noch nie gesehen hatte, benutzte sie meinen Anblick als willkommene Alternative zum Kinderprogramm im Fernsehen.
»Mensch!«, meinte sie schließlich. »Gegen dich wa Rubens ja en Stümper!«
»Du weißt, dass es einen Rubens gegeben hat?«, fragte ich gereizt.
»Wieso nich?«
»Deine Fäkalsprache lässt kaum auf Bildung schließen!«
Claudia grinste. »Gefällt dir nich, wie?«
»Nein.«
»Mir auch nich! Aber ich bin nu ma am Verrecken, und da is nix Schönet dran. Brauch sich also auch nich schön anhörn!«
Im ersten Moment war ich so perplex, dass ich gar nicht reagieren konnte. Erst ganz allmählich wurde mir klar, dass dieses Etwas da im Bett seine Sprache seiner körperlichen Verfassung angepasst hatte.
»Heißt das, du sprichst absichtlich so?«, vergewisserte ich mich.
»Jawoll! Wat meinse, wat ich geübt hab … wa aber auch ne Menge Talent da, dat muss ich zugeben.«
»Ah ja?«
Alsdann lieferte sie mir eine Kostprobe grammatikalischer Vergewaltigungen und einen kurzen Querschnitt durch ihr umfangreiches Schimpfwort-Repertoire.
»Das ertrage ich nicht!«, war mein einziger Kommentar.
»Wieso nich?«
»Frag das bitte nicht immer!«, rief ich aufgebracht. »Wieso nicht! Ich ertrage es einfach nicht. Ich ertrage deinen Umgangston nicht und dich … ich meine … du …«
»Machse mich etwa nich leiden?«
Mit ihren großen grauen Kulleraugen blickte Claudia mich an. Ich sah plötzlich, was für eine tiefe Traurigkeit in diesem Blick lag. Trotzdem wollte ich ehrlich sein.
»Nein!«, antwortete ich.
»Und wieso nich? – weil ich so schäbbig bin? Weil ich ›Kacke‹ und ›Arschloch‹ sach? – Oder weil ich dir wat verklickert hab, watte nich wahrham wills?«
Ich schluckte. Alle drei Gründe trafen zu, aber der letztgenannte war der eigentlich ausschlaggebende. Verzweifelt versuchte ich, eine passende Antwort zu formulieren, ihr irgendeine spitzfindige Bosheit an den Kopf zu werfen. Aber mir fiel nichts ein.
»Aha!«, meinte Claudia dazu. »Dann is ja allet klar.«
»Was?«, kreischte ich. »Was ist klar?«
»Rech dich ab.«
Dann drehte sie mir den Rücken zu und tat so, als würde sie schlafen. Das machte mich erst recht nervös. Immer wieder schaute ich auf meine Armbanduhr, aber dieser Herr Doktor Behringer ließ weiterhin auf sich warten.
Stattdessen kamen meine Eltern. Sie wirkten völlig verändert, aber ich redete mir ein, das würde ich mir nur
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