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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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einreden.
    Meine Mutter war von hektischer Betriebsamkeit und sprach ununterbrochen vom Wetter. Dabei förderte sie mit zitternden Händen aus einem Lederbeutel die unterschiedlichsten Dinge zu Tage: eine Azalee, eine Dose Kekse, ein paar frisch gewaschene Unterhosen, eine Flasche Fruchtsaft, einen Stapel Modezeitschriften und so weiter. Dann setzte sie sich zu mir und gab vor, interessiert meinem Klagelied über Schwester Gertruds Betragen zu lauschen. In Wahrheit war sie ausschließlich mit dem beschäftigt, was mein Vater im Hintergrund trieb.
    Der inspizierte nämlich lautstark das Zimmer, und das Ergebnis dieser Inspektion war in jeder Hinsicht niederschmetternd.
    »Und dafür zahlt man Beiträge!«, fluchte er. »Das sieh sich bloß mal einer an! Und das hier! So was wäre nicht mal vor dem Krieg möglich gewesen.«
    Nach zehn Minuten war meine Mutter endgültig mit ihren Nerven am Ende, und sie verlor die Fassung. »Hör auf!«, schrie sie ihn an. »Für die paar Tage braucht Eva weder echte Teppiche noch seidene Bettwäsche.«
    »Wohl aber Nachthemden!«, fuhr ich dazwischen.
    »Wie?« Die beiden sahen mich erschüttert an. »Ja«, sagte ich, »ich brauche noch ein paar Nachthemden. Wenn man das da sieht …!«
    Ich wies auf Claudia und konnte überhaupt nicht verstehen, warum mein Vater die Farbe wechselte. So schlimm war es nun ja auch wieder nicht.
    »Nachthemden!«, wiederholte meine Mutter ungläubig. »Was für welche?«
    Der blütenweiße Traum, den ich anhatte, diente mir als Beispiel. »So in Türkis, und in Rosa, und in Gelb …!«
    »Natürlich mein Schatz!«
    Ich blickte zu meinem Vater, der sich offenbar wieder erholt hatte, denn er rollte die Augen.
    »Natürlich, mein Schatz!«, knurrte er hörbar enerviert.
    Nach diesem Besuch ging es mir vorübergehend etwas besser. Ich hatte zwar gespürt, dass irgendetwas anders gewesen war als sonst, schob das aber auf die veränderte Umgebung, die mir ja selbst zusetzte.
    Mittlerweile war es dunkel geworden. Die Laterne vor dem Eingang der Kinderklinik ging an, und ihr Licht warf einen gespenstischen Schatten in unser Zimmer. Claudia schlief jetzt tatsächlich. Sie atmete im Takt mit dem Ticken der Uhr und regte sich nicht. Ein lähmender Friede lag über mir, der mich mit jeder Minute mehr und mehr verängstigte.
    Immer lauter dröhnte dieses eine Wort in meinen Ohren: Krebs! Eine meiner Tanten war an Krebs gestorben, ebenso meine Sportlehrerin; einer Freundin meiner Mutter hatte man beide Brüste abgenommen, weil sie Krebs hatte. Krebs! Das Wort tat mir körperlich weh und machte mir Angst. Mit jedem Augenblick, da meine Unsicherheit wuchs, steigerte sich auch meine Wut auf diesen Herrn Doktor Behringer. Er war schuld. Er ließ mich warten. Je länger ich mir das einredete, desto zorniger wurde ich, und als er schließlich zu vorgerückter Stunde kam, war ich darauf aus, meinen sprichwörtlichen Klapperschlangen-Charme gleich pfundweise zu versprühen. Dabei war Herr Doktor Behringer eigentlich ein netter Mann. Er war groß, schlank und etwa fünfunddreißig Jahre alt. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten, seine Gesichtszüge wirkten intelligent und sachlich, und seine warmen, gütigen Augen waren hinter Brillengläsern verborgen.
    Als er das Zimmer betrat, strahlte er über das ganze Gesicht.
    »Sie müssen Eva Martin sein«, sagte er und reichte mir die Hand, »ich bin Doktor Behringer, der Stationsarzt.«
    » Angenehm wäre eine Lüge!«
    Er lachte. »Sie haben eine spitze Zunge.«
    »Hat sich das schon bis zu Ihnen herumgesprochen?«
    »Allerdings!«
    Er strahlte unbeirrt weiter, nahm auf meiner Bettkante Platz, taxierte mich grammweise und wollte wohl gerade etwas sagen, als Claudia aufwachte.
    »Ah, Doktor Behringer«, gähnte sie mit weit aufgerissenem Maul, »is jemand gestorben?«
    Diese pietätlose Frage verschlug mir den Atem. Ich blickte zu Behringer, von dem ich ein Machtwort erwartete.
    Aber der amüsierte sich darüber und meinte mit gespielt strafendem Unterton: »Claudia Jacoby! Jederzeit ein erfrischendes Wort!«
    »Nich wahr?«
    Erst dann sah er mein empörtes Gesicht.
    »Hat Claudia Ihnen noch nichts erzählt?«, fragte er.
    »Sie redet viel!«
    »Sie ist unser Enfant terrible.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Hat sie Ihnen noch nichts von ihrer Überlebensliste erzählt?«
    »Wie bitte???«
    Claudia kicherte, und als ich entsetzt zu ihr hinübersah, kicherte sie nur noch mehr.
    »Pass auf«, krächzte sie, »wenn dat Volk hier

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