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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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aus.
    Über ein derart pflegeleichtes Kind hätten meine Eltern nun eigentlich froh sein müssen. Sie waren es aber nur bedingt, und das machte meine an sich aufregende Kindheit so anstrengend. »Siehst du nicht, Eva, dass dein Lego-Häuschen schief ist? Mach das doch mal anständig! – Aber Eva, das Männchen, das du da gemalt hast, hat ja gar keine Haare, und die Sonne ist ja größer als der Teich. Mach das doch mal richtig! – Guck mal, Eva, du kannst der Monika doch kein gelbes Pullöverchen anziehen und ein rotes Höschen und grüne Schühchen. Hast du denn kein Farbempfinden? Nun mach das aber mal schön!« Von früh bis spät ging das so, und es wurde »Perfektionismus« genannt. Ich hielt es eher für Schinderei, hatte aber nicht die geringste Lust, mich dagegen zu wehren. Ich dachte mir, wenn ich den Ansprüchen meiner Eltern erst einmal genügen würde, fände ihre erzieherische Allmacht unwillkürlich ein Ende, und so zeigte ich mich unermüdlich, wenn es galt, etwas schöner, richtiger oder anständiger zu machen. Vielleicht ahnte ich, dass ich diese strenge Erziehung brauchen würde, um mein weiteres Leben überhaupt leben zu können, und vielleicht ahnte ich auch, dass mir nicht viel Zeit blieb, mich erziehen zu lassen, weil mich das Schicksal sehr früh auf den mir bestimmten Weg schicken würde. An einem Sommernachmittag des Jahres 1962 war es nämlich schon so weit.
    Es fing ganz harmlos an. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte mich im Garten spielen sehen und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm Fahrrad zu fahren. Ich hatte keine Lust. Dieser kleine Racker pflegte zu kratzen, zu beißen und zu schlagen. Dass ich dennoch seine Einladung annahm, war wohl die reine Vorsehung. Es kam, wie es kommen musste! Das gemeinsame Fahrradfahren ging nur eine knappe halbe Stunde gut, dann schubste mich mein Kavalier – aus purer Lust am Schubsen –, und ich flog in hohem Bogen mitten auf die Straße. Im nächsten Moment sah ich den Tod. Er rollte auf mich zu in Gestalt eines Sattelschleppers. Meine ahnungslosen Kinderaugen starrten gebannt auf die riesigen Räder, und in meinen Ohren dröhnte das verzweifelte Quietschen der Bremsen … Nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt kam das Ungeheuer zum Stehen … Ich war noch einmal davongekommen.
    Was mir blieb, war eine lebenslange Abneigung gegen Fahrräder und kleine Jungen, vor allem aber ein gebrochenes Schienbein, und das wurde zu meinem eigentlichen Schicksal. Der Heilungsprozess erwies sich nämlich als äußerst langwierig. Jedes Mal, wenn es endlich geschafft zu sein schien, wuchs ich ein wenig, sodass der lädierte Knochen wieder riss und ich einen neuen Gipsverband bekam. Dieser reichte mir immer bis zur Hüfte und war so schwer, dass er mich dirigierte, statt umgekehrt. Er zwang mein Bein in eine völlig abnorme Stellung, und als er nach fast drei Monaten endlich abgenommen wurde, stand mein rechter Fuß auswärts, der linke geradeaus. Außerdem hatte das lange Krankenlager mich völlig verändert. Die ehemals zart besaitete, sanfte, kleine Eva war zu einer leicht erregbaren und unberechenbaren Person geworden, die man überall das »Rumpelstilzchen« nannte.
    »Die hat zu viel Kraft!«, lautete das allgemeine Urteil. »Die hat so lange gelegen, dass sie jetzt fast platzt vor Tatendrang!«
    So beschlossen meine Eltern, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zwecks Abbau überschüssiger Energie einerseits und zwecks Neuausrichtung meiner Gehwerkzeuge andererseits wurde ich zum Gymnastikunterricht geschickt.
    »Eva ist sehr musikalisch«, hieß es da bereits nach kurzer Zeit. »Es wäre schön, wenn Sie das fördern würden. Schicken Sie sie doch zum Ballett!«
    Das Ballett wurde zum Inbegriff meines Lebens. Gleich in der ersten Unterrichtsstunde spürte ich, dass ich eine Tänzerin war und auch gar nichts anderes sein wollte. Es war ein innerer Zwang, dem ich einfach nachgeben musste, und dass ich ihm auch nachgeben konnte, verdankte ich nicht nur meiner angeborenen körperlichen Konstitution, sondern auch der Erziehung meiner Eltern. Ihr Streben nach Perfektionismus zahlte sich jetzt aus, denn ich war disziplinierter und zielbewusster als andere Kinder, wenn es darum ging, im Ballettsaal die eine oder andere Bewegung schöner, besser oder schneller zu versuchen. Was ich auf Anhieb nicht schaffte, übte ich am heimischen Küchenstuhl bis zum Umfallen – die Legohäuschen hatten mich nichts so sehr gelehrt wie Ausdauer.
    Darüber

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