Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Stunden Kreißsaal plötzlich keine Wehen mehr; meine Herztöne wurden immer schwächer, und schließlich waren sie gar nicht mehr zu hören. Da sah der gute Herr Professor keine andere Möglichkeit mehr, als seine Patientin zu anästhesieren und alles für einen Kaiserschnitt vorzubereiten. Er wollte sie von dem »toten« Kind befreien.
Ich selbst spürte genau, dass da etwas nicht stimmte. Man ließ mich einfach in dem fruchtwasserlosen Dunkel zurück, man gab mich auf. Damit konnte und wollte ich mich nicht abfinden, und so machte ich mich ganz schmal und presste meinen kleinen Körper mit Gewalt aus der Enge. Ich sah, wie grelles Licht in meine Augen blitzte, ich sah die großen Hände, die sich mir plötzlich entgegenstreckten und mich aus dem Gefängnis in die Freiheit hoben, und ich sah dieses entsetzte Männergesicht … er war entsetzt, er … vor lauter Empörung schrie ich erst mal laut auf!
»Die ist zäh«, sagte der Professor später zu meinem Vater, »die bringt es im Leben zu was!« Warum er so dachte, behielt er für sich, und das, obwohl er bei uns ein und aus ging und ich ihn später liebevoll Onkel Hans nannte. Wenn wir auf meine Geburt zu sprechen kamen, wiederholte er immer nur den einen Satz: »Dein Vater und ich, Eva, wir haben damals jeder einen Kasten Bier darauf getrunken!« Der Rest blieb sein Geheimnis, zwanzig Jahre lang.
Nachdem ich mich in der ersten Schlacht meines Lebens so erfolgreich behauptet hatte, wurde ich dafür nachhaltig belohnt. Als Kronprinzessin der Familie Martin wurde ich auf den klingenden Namen Eva Katharina getauft. Mein Zuhause war eine Zwanzig-Zimmer-Villa mit Hausangestellten, Kindermädchen, Chauffeur und Gärtner.
Mein Vater war damals schon fünfzig Jahre alt. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie und hatte es im Verlauf seines Lebens durch harte Arbeit zu wahrem Reichtum gebracht. Er war ein unkonventioneller Mann. Die Ehe mit meiner Mutter war seine vierte, und die Zahl seiner Verlobungen war nicht einmal aktenkundig. Sein Herz trug er auf der Zunge. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund, und seine Schimpfkanonaden waren berühmt und berüchtigt. Wenn er befürchtete, mit Worten allein nicht zum Ziel zu kommen, drohte er auch schon mal mit seinen Fäusten, und ohne die dämpfende Sanftmut seiner Frau hätte er sicherlich einen Großteil seines Lebens hinter schwedischen Gardinen verbracht.
Meine Mutter war zwanzig Jahre jünger als er und stammte aus einer äußerst vornehmen Familie. »Aber Ernst!«, und »Das ziemt sich nicht!«, waren ihre bevorzugten Äußerungen. Das meinte sie aber niemals böse oder gar abfällig. Sie liebte meinen Vater über alles, und auch nach meiner Geburt spielte er die »erste Geige« in ihrem Leben.
»Als ich Mutter wurde, hatte ich schließlich nicht die Absicht, meine Stellung als Ehefrau aufzukündigen«, erklärte sie mir einmal. »Dein Vater war vor dir da, Eva, merk dir das!«
So lernte ich früh, dass ich, das Kind, ein Ergebnis der Liebe meiner Eltern war, nicht mehr, aber auch niemals weniger.
»In ihrem Miteinander liegen deine Wurzeln, Eva!«, pflegte Oma »Tati« zu sagen. Die Mutter meiner Mutter lebte mit uns im Haus. Eigentlich hieß sie Henriette, aber da ich diesen Namen als Kleinkind nicht hatte aussprechen können, blieb es bei der Koseform.
Oma Tati war eine Bilderbuch-Großmutter. Ihr Körper war weich und rund, ihr Haar lang und weiß, ihr Herz war groß und warm. Oft saß ich stundenlang auf ihrem Schoß und schmuste mit ihr, während sie die schönsten Märchen erzählte. Vor allem aber besorgte sie meine religiöse Erziehung. Das begann mit der Geschichte vom Jesuskind und endete mit dem Abfragen von Luthers Lebensweg. Mit ihr ging ich sonntags in die Kirche, sie lehrte mich lange vor der Konfirmation den Katechismus, sie verlangte, dass ich sämtliche Strophen von Befiehl Du meine Wege auswendig aufsagen konnte.
»Religiosität ist das Fundament eines Menschenlebens«, erklärte sie mir. »Nur ein Mensch, der einen festen Glauben hat, Eva, hat auch eine Zukunft.«
Da ich sie nur anzusehen brauchte, um zu wissen, dass sie die Wahrheit sprach, machte ich mich frohen Mutes auf den Weg durch meine Kindheit.
Ich war ein fröhliches Kind, das gern lachte und munter drauflosplapperte. Ließ man mich unbeobachtet, war ich mir selbst genug. Dann saß ich allein und in mich versunken in meinem Zimmer und spielte mit Legosteinen, malte Bilder, zog stundenlang meine Puppe Monika an und wieder
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