Zwei Frauen: Roman (German Edition)
nichts erspart!«
Damit deutete sie an, dass sie sich gezwungen sah, von ihrer ursprünglichen Absicht, ihr gesamtes Vermögen einem Tierheim zu vererben, nunmehr abzurücken und stattdessen mich, ihr einziges Enkelkind, trotz meines Geschlechts auf die Rolle der Universalerbin vorzubereiten.
»Auch das noch!«, stöhnte sie, und ich nickte mitfühlend, denn das Gleiche dachte ich: »Auch das noch!«
Trotzdem gelang es uns beiden im Laufe der Zeit, aus der heiklen Situation das Beste zu machen. Meine Großmutter beklagte bald nicht mehr hundertmal, sondern nur noch zehnmal am Tage, dass ich nur ein Mädchen und dazu auch noch ein schreckliches Mädchen wäre, und ich ließ mich zähneknirschend »formen«, wie sie es nannte. Sie brachte mir bei, wie man sich in der so genannten Gesellschaft zu benehmen und zu bewegen hatte, bei Konzerten, in der Oper oder auf Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ich lernte, dass man stets freundlich, verbindlich und trotzdem kühl bleiben musste, dass man nie zornig werden oder gar fluchen durfte, und dass »Haltung« das Wichtigste war; das alles übte ich bei so genannten »Proben«, zu denen meine Großmutter mal ihren Rechtsanwalt, mal ihre Putzfrau lud.
»Damit du lernst, wie weit du dich herablassen musst, Eva, und wie weit du dich herablassen darfst. Das will nämlich gekonnt sein, weil man sich nur auf intelligente Menschen wirklich einlassen sollte. Dummheit ist gefährlich, Eva, und die meisten Menschen sind dumm, mehr noch, sie sind keine Menschen, sondern Karikaturen unserer Rasse!« Tagein, tagaus hörte ich mir diese Maximen artig an, war mit meinen Gedanken aber zumeist ganz woanders. Schließlich wollte ich keine Dame der Gesellschaft werden, sondern eine Tänzerin. Dieser Entschluss stand für mich fest, seit ich meine ersten Spitzenschuhe bekommen hatte. In jeder freien Minute trug ich diese Träume aus roséfarbenem Satin, und manchmal behielt ich sie sogar zum Schlafengehen an. Ich hegte und pflegte sie wie Wesen aus Fleisch und Blut, indem ich regelmäßig die seidigen Bänder bügelte, jede abgenutzte Stelle sofort ausbesserte und Lederflecken auf die Kappen klebte, damit sie sich nicht so schnell durchtanzten. Diese Schuhe betrachtete ich als das Symbol meines Lebens, und jedes Mal, wenn mir das neuerlich klar wurde, nahm ich mir vor, noch am gleichen Tag meinen Eltern zu sagen, dass ich nicht das Abitur machen und Medizin studieren, sondern eine berühmte Primaballerina werden wollte.
Monatelang sagte ich mir das jeden Morgen, aber ich riskierte es erst wenige Tage nach meinem zwölften Geburtstag. Ich ahnte wohl, dass da mehr auf mich zukommen würde, als ich mir in meinem Kinderverstand ausmalen konnte, ich ahnte wohl, dass wieder einmal eine Herausforderung auf mich wartete …
Ich beichtete meinen Eltern meine Zukunftspläne, aber sie lachten nur lauthals.
»So ein Firlefanz, Eva!«
»Das ist kein Firlefanz, Mama!«
»Aber Hupfdohle ist doch kein Beruf!«
»Für mich ist es sogar mehr als das, ich –«
»Für dich ist es eine Berufung, wie?«
»Ja, Papa!«
»Das kann ich verstehen!«
»Wirklich?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Ja …«
»Aber Ernst!«, rief meine Mutter erschrocken.
»… ich wollte als Kind auch Indianerhäuptling werden!«
Damit war das Thema für meine Eltern erledigt.
In meiner Not wandte ich mich an meine Ballettmeisterin, und die reagierte ganz anders auf meine Eröffnung. Sie lächelte. »Ich hatte gehofft, dass es so wäre«, sagte sie dann, »aber jetzt, wo ich es weiß …«
Wenige Wochen später veranstaltete sie eine Weihnachtsfeier. Zu diesem Anlass präsentierte ich voller Stolz die »Welturaufführung« eines von mir selbst choreographierten Tänzchens. Ich war noch dabei, die Ovationen meiner Mitschülerinnen entgegenzunehmen, als plötzlich eine fremde Frau auf mich zukam. Sie war klein und extrem zierlich, fast sah sie aus wie ein Junge. In ihrem hageren Gesicht prangten zwei klitzekleine Augen, eine überwältigend große Nase und ein harter Mund, der nicht einmal über den Hauch einer Venusfalte verfügte, aber sie hatte wunderschönes Haar. Es reichte ihr bis weit über die Schultern, war leicht gewellt und von einer ungewöhnlichen Farbe: nicht braun, nicht schwarz, nicht rot und doch von allem etwas. Fasziniert blickte ich auf diese Haarpracht, ängstlich auf die übrige Erscheinung dieser Dame. Ich versuchte zu lächeln. Die Frau reagierte nicht einmal darauf.
»Die will ich haben!«, sagte sie zu
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