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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Kadaver.«
    »Claudia!!!«
    »Ja?«
    Ihre Ausdrucksweise zog mir manchmal die Schuhe aus. Sie hatte vor nichts und vor niemandem Respekt und nahm auf nichts und auf niemanden Rücksicht, nicht einmal auf ihre Mutter. Das merkte ich, als ich Frau Jacoby kennen lernte, eine einfache Frau von Mitte fünfzig mit früh ergrautem Haar und schlanker Figur. Als sie zur Tür hereinkam, rollte Claudia sich umgehend auf die Seite und drehte ihr charmant den Rücken zu.
    Frau Jacoby schien daran gewöhnt zu sein, denn sie zeigte keine Reaktion. Sie zog lediglich einen Stuhl heran und nahm neben ihrer schweigenden Tochter Platz. Nach etwa zwanzigminütiger Stille räusperte sie sich dann.
    »Hast du vielleicht Hunger, Claudi?«
    Antwort: »Leck mich am Arsch!«
    Die Mama zuckte kaum merklich zusammen und blinzelte errötend zu mir herüber. Ich tat so, als hätte ich es gar nicht bemerkt.
    »Karin hat nach dir gefragt«, fuhr sie dann fort.
    »Leck mich am Arsch!«, erklang es wiederum.
    »Soll ich ihr etwas ausrichten, Kind?«
    »Ja.« Blitzschnell richtete Claudia sich auf und blickte in die erwartungsvollen Augen ihrer Mutter.
    »Die soll mich auch am Arsch lecken!«, sagte sie dann und rollte sich sogleich wieder zusammen.
    In diesem so wenig erquicklichen Stil dauerte das »Gespräch« etwa eine halbe Stunde, und dann tat Mutter Jacoby das einzig Gescheite: Sie floh.
    Kaum war sie draußen, als meine große Stunde schlug.
    »Wie kannst du es wagen?!«, fuhr ich Claudia an. »Ich finde das ungeheuerlich. Sie ist deine Mutter, und du behandelst sie wie ein Stück Dreck.«
    Claudia sah mich ruhig an. »Und?«, fragte sie dann.
    »Ja …«
    Ich wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte, meine Empörung war grenzenlos.
    »Pass auf«, sagte Claudia dann plötzlich, »ich weiß nich, ob du dat schnalls, aber … ich will nich, dat die Mutter heult, wenn ich tot bin. Ich will, dat die heult, solang ich noch leb. Weil ich noch leb. Dann isse nämlich froh, wenn se mich los is.«
    Von diesem Augenblick an fühlte ich mich völlig hilflos und allein. Ich hatte es hier mit einem Menschen zu tun, der ganz anders war als die, die ich bisher kannte. Claudia sprach Dinge aus, die ich nie ausgesprochen hättet und sie verschwieg, was ich nie hätte für mich behalten können. Das machte mich einsam, und ich wollte nur noch weg von diesem Ort, an dem mir alles so fremd und unwirklich erschien. Aber die Befunde der Pathologie trafen nicht ein, Professor Mennert kehrte nicht von seinem Kongress zurück, und deshalb musste ich warten, warten, warten …
    Eines Morgens stand dann plötzlich eine junge Frau vor meinem Bett. Sie war dreißig Jahre alt, sehr groß und sehr schlank. Sie trug viel zu enge Jeans, einen viel zu weiten Pullover, und ihr taillenlanges, glattes, hellblondes Haar hing offen, sodass sie ununterbrochen damit beschäftigt war, es aus dem Gesicht zu schaffen.
    Für mich zählte sie damit zu jenen Typen, die ich »lost sixties« nannte. Sie hatte noch nicht begriffen; dass die Studentenunruhen längst vorüber und Rockmusik gesellschaftsfähig war.
    »Ich heiße Daniela«, sagte sie mit sanfter Stimme, »und wie heißt du?«
    Die Plumpheit dieses Annäherungsversuchs bestätigte mir meine Theorie endgültig. Ich hatte es mit dem »letzten Blumenmädchen« zu tun.
    »Eva Martin!«, brummte ich. Zu mehr ließ ich mich nicht herab.
    Daniela trug mein Verhalten erwartungsgemäß mit Fassung und zog sich einen Stuhl heran. »Ich habe gehört, dass du Probleme hast«, sagte sie und nahm Platz.
    Ich kochte fast vor Wut. Da lag ich seit über vierzehn Tagen in diesem grauenhaften Krankenhaus, wurde von oben bis unten untersucht, durchleuchtet, gepiekst und beschnitten, wartete vergeblich auf die Befunde all dieser Schändungen, und dann kam diese Frau und konstatierte mit dem Tonfall einer Kassandra, ich hätte wohl »Probleme«. Ich beschloss, die Aussage zu verweigern, und schwieg.
    Aber auch das trug Daniela mit Fassung. Sie tat es mir einfach gleich. So schwiegen wir einander an, fünf Minuten, zehn Minuten. Es war eine gewichtige Stille, und ich fürchtete, unter ihrer Last zusammenzubrechen. Die Frau ließ mich nicht aus den Augen. Wann immer ich wagte, zu ihr hinüberzulugen, sah sie mich an, ruhig und fest, erwartungsvoll und dennoch nicht fordernd. Schließlich konnte ich das nicht mehr ertragen und ging zum Angriff über.
    »Was kann ich für Sie tun?«, zischte ich.
    Sie lächelte milde. »Ich bin Psychologin. Ich arbeite

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