Zwei Frauen: Roman (German Edition)
hier in der Klinik und würde mich gern mal mit dir unterhalten.«
»Ich wüsste nicht, worüber ich mit Ihnen reden sollte.«
Daniela ließ sich nicht entmutigen. »Du bist achtzehn?«, fragte sie.
Ich nickte.
»Einzelkind?«
Ich nickte erneut.
»Erzähl mir ein bisschen von dir! Wo bist du aufgewachsen? Was sind deine Eltern für Menschen?«
»Wieso interessiert Sie das?« Ich fuhr endgültig aus der Haut. »Das geht Sie doch überhaupt nichts an!«
Wieder lächelte sie. »Du interessierst mich, Eva. Ich möchte dich kennen lernen.«
Böse sah ich sie an. Noch nie hatte sich jemand für mich interessiert oder mich gar kennen lernen wollen, der nicht von mir eine Gegenleistung erwartet hätte. Schon von daher war mir die Dame suspekt. Daniela nahm meinen schweigenden Trotz jedoch gelassen hin, und nach einer Weile trat sie den Rückzug an.
»Mein Büro ist oben in der fünften Etage«, sagte sie, »direkt hier drüber.« Ich reagierte nicht darauf, aber sie lächelte trotzdem voller Zuversicht »Du kannst jederzeit vorbeikommen, Eva, … wann du willst …«
KAPITEL 10
Schon am nächsten Morgen stand ich bei Daniela auf der Matte. Und das, obwohl Claudia gesagt hatte, diese Psychologin wühle »inne Seele wie son Penner inner Tonne«.
Ihr Büro war ein schmaler Schlauch. Vor dem Fenster stand ein hypermoderner Schreibtisch aus Plexiglas, davor und dahinter jeweils ein weiß bezogener Lederstuhl mit Chromgestänge. Die Bücherregale reichten vom Fußboden bis unter die Decke, gefüllt mit sämtlichen Werken von Bruder Sigmund und seinen Nachfahren.
In allen vier Zimmerecken lagen geometrische weiße Holzklötze. Auf einem quadratischen Block stand ein Tonbandgerät. Direkt neben der Tür auf der Erde gab es dann noch eine Art »Sitzlandschaft« aus mehreren weiß bezogenen Matratzen, die übersät waren von bunten Patchwork-Kissen. Sie waren die einzigen Farbkleckse in dem Raum, ansonsten war alles einheitlich weiß.
Diese Einrichtung vermittelte mir ein Gefühl von Geradlinigkeit. Hier arbeitete ein Mensch, der frei war von Kringeln und Schnörkeln. Ich selbst war zwar ganz anders, aber es gefiel mir.
Daniela gab sich wesentlich geschäftiger und nicht so abwartend wie tags zuvor.
»Mach es dir gemütlich!«, forderte sie mich auf. Der Klang ihrer Stimme verriet mir, wie sehr sie sich über meinen Besuch freute. Sofort wurde ich misstrauisch. Nach einigem Zögern setzte ich mich steif auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Sie wollte, dass ich sie duzte, aber ich lehnte ab.
Schließlich ließ sie mich einige Tests machen. Zuerst musste ich kleine bunte Klötzchen in kleine bunte Löcher stecken. Daniela stoppte sogar die Zeit, die ich für diesen Schwachsinn benötigte.
Anschließend musste ich mit Buntstiften ein Bild malen: mit einem Haus, mit einem Baum, mit einem See, mit einer Brücke.
»Das hast du im Kindergarten doch sicher auch schon mal gemacht«, sagte sie, als sie mein mürrisches Gesicht sah.
»Ich war nie im Kindergarten.«
»Nein?«
»Die Krupp-Kinder gehen schließlich auch nicht hin.«
Sie notierte diese Bemerkung, und als das Gemälde fertig war, bekam ich zur Belohnung eine Zigarette und Kaffee.
»Ich würde mich jetzt gern ein bisschen mit dir unterhalten«, schlug sie vor. »Würde es dich stören, wenn ich dabei ein Tonband laufen lasse?«
»Ja!«, gab ich schroff zurück.
»… gut, … dann nicht!«
Dass sie meine Ablehnung so ohne weiteres hinnahm, erschütterte mich zutiefst. Noch mehr erschütterte mich jedoch das Schweigen, das diesem Wortwechsel folgte. Ich versuchte ihm auszuweichen und konzentrierte mich krampfhaft auf die Aufdrucke der Buchrücken im Regal. Vorwärts und rückwärts las ich sie, knabberte dabei an meinen Fingernägeln, bis es blutete.
Schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen und gab auf.
»Wenn … ich meine … wenn Sie wollen …«
Meine Stimme zitterte, und der Speichel in meinem Mund war wie ein Strom, der nicht zu bändigen, geschweige denn zu verschlingen war.
»Ja?«
»Stellen Sie das Band ruhig an«, flüsterte ich, »– wenn Sie wollen.«
»Willst du es denn?«
»Ja.«
Daniela tat es, und ich spürte, wie mein Körper sich entspannte. Meine Nerven hatten unter Hochspannung gestanden, dem Zerreißen nahe. Jetzt ließ es nach, und ich sackte merklich in mich zusammen. Erleichterung machte sich breit.
»Wie hat deine Mutter dich gestraft, wenn du als Kind nicht so warst, wie sie es erwartete?«
Diese Frage traf mich so
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