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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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anfängs«, spottete sie, »dann biss froh, wenn de überhaupt noch Luft kriss, dann schickse die nich mehr so durch et Gelände.«
    Ich sandte ihr einen strafenden Blick und schwor mir, auch bei dieser Chemotherapie die Nerven zu behalten. Von Anfang an hatte man mich damit verrückt gemacht. Die wenigsten würden sie überleben, hatte es geheißen, und die Nebenwirkungen wären so grauenhaft, dass man besser gleich stürbe.
    Umso erstaunter war ich, als es endlich so weit war. Diese schauerliche Chemotherapie, um die so viele Worte gemacht wurden, bestand lediglich aus einigen wenig Furcht erregenden Pillen und einer Infusion, die aus mehreren Flüssigkeiten hergestellt wurde. Dieses Gebräu brodelte nicht, es stank nicht, und es schwammen auch keine warzenbedeckten Kröten darin.
    Dennoch betrieb die S 1 einen gewaltigen Aufwand, er glich dem beim Start einer bemannten Raumfähre auf Kap Canaveral üblichen. Der gesamte Stab war anwesend, als Mennert die erste Infusion in meine Vene jagte. Er hielt den Schlauch, Helma den Ständer, Gertrud den weiteren Therapieplan und Behringer mein Händchen.
    »Vor allem dürfen Sie sich nicht verkrampfen«, sagte er, »auch nicht, wenn es zu Nebenwirkungen kommt. Das Präparat kann zu starker Übelkeit führen, zu organischen Störungen, vielleicht gehen Ihnen die Haare aus.«
    »Quatsch!«, entgegnete ich selbstbewusst. »Sie reden wie der Beipackzettel einer Kopfschmerztablette. Ich bin nicht so empfindlich. Was da so draufsteht, bekomme ich auch nie, bei mir gehen immer nur die Kopfschmerzen weg.«
    Mit dieser Einstellung hatte ich zunächst auch großes Glück. Ich vertrug die Medikamente ausgezeichnet, die viel zitierten Nebenwirkungen blieben allesamt aus. Ich fühlte mich großartig, so großartig, dass ich bisweilen sogar grundsätzliche Zweifel an der Richtigkeit meiner Diagnose hegte. Diese verstärkten sich noch, als ich mich eines Morgens von Claudia dazu überreden ließ, doch mal die anderen Patientinnen von S 1 in Augenschein zu nehmen.
    Diese Frauen waren zwischen achtzehn und dreißig Jahren alt. Leukämie, Unterleibskrebs, Lymphogranulomatose, Brustkrebs, Lymphosarkomatose … jede wusste von einer anderen Qual zu berichten. Einige waren kahlköpfig wie Claudia, andere waren übersät von roten Flecken oder von eitrigen Geschwüren entstellt, alle waren sie ausgemergelt bis aufs Mark. Sie lagen in ihren Betten, plauderten, sahen fern, hörten Musik, lachten, strickten, starben.
    Ihr Anblick war grauenhaft, ein Eindruck, der haften blieb. Ich war nun endgültig sicher, die einzig Gesunde auf S 1 zu sein.
    Eine dieser todkranken Patientinnen hieß Ina Peters. Sie war wie ich achtzehn Jahre alt und litt an akuter Leukämie. Sie war ein bildhübsches, zierliches Mädchen mit dunklen Haaren, dunklen Augen, einem zarten Näschen und einem spitzen Kinn. Sie lag mit Alexandra in einem Zimmer und betrachtete die meiste Zeit geheimnisvolle Fotografien. Die wurden wie Heiligtümer gehütet. Niemand durfte einen Blick darauf werfen, und schon bald kursierte das Gerücht, es handelte sich bei dem Material um pornografische Studien.
    Claudia nutzte jede nur denkbare Gelegenheit, um sich der mysteriösen Ina zu nähern und »wat rauszukriegen«. Mit der Spürnase eines Sherlock Holmes sammelte sie Indizien, und nach knapp einer Woche gab es ein erstes Zwischenergebnis:
    »De Ina hat Probleme!«
    Claudia liebte nichts mehr als die Probleme anderer Leute, darin ging sie auf. Das musste Ina bald am eigenen Leib erfahren. Stundenlang redete Claudia auf sie ein, versuchte, ihr Vertrauen zu gewinnen, die Hintergründe zu erfahren. Aber Ina blieb standhaft. Da kam das Schicksal zu Hilfe: Alexandra starb.
    »Is dat fein!«, jubelte Claudia. »Dat dat so wacker gegangen is! Is dat fein!«
    Voller Pietät griff sie zu ihrer Überlebensliste und strich den Namen der verblichenen Leidensgefährtin aus. Dann stellte sie befriedigt fest, dass sie nach wie vor die Spitzenposition innehatte.
    »Siehse, Evken, mich kriegen die hier nich kaputt!«
    Ich war empört, dass sie über den Tod eines Menschen in einen Freudentaumel verfiel.
    »Rech dich bloß ab!«, fuhr sie mir sofort in die Parade. »De Alexandra hat so Schmerzen gehabt, dat dat so besser is. Nu hat set hinter sich. Und außerdem …«
    Ihre Äuglein strahlten, und ihre dürren Händchen zitterten vor freudiger Erregung.
    »Was?«, fragte ich eisig.
    »Na ja, … de Ina is ja nu alleine …!«
    Die Einsamkeit in dem halb leeren

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