Zwei Frauen: Roman (German Edition)
waren. Bevor ich mir das Ding genauer ansehen konnte, legte Helma bereits los. Über eine Stunde hatte sie gebraucht, um Mennerts Mammut-Therapie im Schwesternzimmer vorzusortieren. Jetzt ließ sie blitzschnell eine Pille nach der anderen in den kleinen Kasten fallen, und ebenso blitzschnell sprach sie dabei, es klang wie das Rattern eines Maschinengewehrs:
»Die nehmen Sie morgens, die nehmen Sie mittags, die nehmen Sie abends. Diese hier morgens und abends. Die nur morgens. Die mittags. Das ist das Ovulum. Die nehmen Sie abends. Die nehmen Sie mittags und abends, und die hier, die nehmen Sie jetzt gleich!«
Sie drückte mir eine ganz besonders schöne, orangefarbene Tablette in die Hand, und dabei strahlte sie wie nie zuvor.
»Alles klar?«, erkundigte sie sich beiläufig.
»Ich denke schon, … ich kann ja lesen.«
Es freute Helma, das zu hören, und dieser Freude verlieh sie Ausdruck, indem sie ging. Zurück blieben eine »brüllende« Claudia und eine überaus verwirrte Eva.
Nacheinander nahm ich die bunten Pharma-Drops in Augenschein. Einerseits faszinierten sie mich in ihrer farblichen und formalen Vielfalt, andererseits ängstigten sie mich. So klein und unscheinbar sie auch waren, konnten sie doch mehr Unheil anrichten als die Feuer speienden Drachen aus den Märchen meiner Kindheit. Dennoch überwand ich mich, mein Entschluss stand schließlich fest.
Die nachfolgenden Stunden schleppten sich dahin. Sobald ich eine der Tabletten geschluckt hatte, lag ich starr da in Habacht-Stellung, auf alles gefasst. Ich wartete auf einen Krampf im Herzen, auf ein erstes Brennen in der Blase, auf ein erstes Zwacken im Darm. Aber nichts dergleichen geschah.
»Is doch auch noch viel zu früh!«, meinte Claudia gelassen. »Musse en bissken Geduld ham, Evken, dat kommt scho noch!«
Ich blickte strafend zu ihr hinüber. Sie tat gerade so, als wäre ich wild auf all diese Zipperleins. So war das ja nun nicht. Ich konnte sehr gut ohne Schmerzen leben. Ich fand lediglich, ein kluger Mensch müsste vorbauen.
Am späten Abend bekam ich Gelegenheit, diese Taktik auszuleben. Von einem Augenblick auf den anderen überfiel mich eine Übelkeit, die in jeder Hinsicht unvergleichlich war. Mein Magen schwoll an, als wollte er den gesamten Bauchraum erobern, das konnte ich nicht nur fühlen, das war zu sehen. Mit letzter Kraft stolperte ich zur Toilette und steckte mir den Finger in den Hals. Alsdann ergoss sich eine Flut weißen Schaums.
»Wat is dat denn?«, staunte Claudia. »Hasse inne Seife gebissen?«
Mir war nicht zum Scherzen zumute, aber die Frage schien durchaus berechtigt. Was da aus mir herausschäumte, sah aus wie eine Überdosis Persil, Dash oder Omo. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, danach war alles vorüber.
»Was kann das nur gewesen sein?!?«, sinnierte ich.
»Keine Ahnung!«, erwiderte Claudia. »Son Zeuch ham se bei mir noch nich probiert. Ich kenn ne Menge, aber so wat? Nee! – Willse nich lieber Bescheid sagen?«
Das wollte ich auf keinen Fall, nichts lag mir ferner. Als es am zweiten, dritten und vierten Tag wieder passierte, blieb mir jedoch gar nichts anderes mehr übrig. Die Schaumwogen rissen nämlich das Abendessen mit sich fort, und das konnte ich mir bei meinem Kindergewicht einfach nicht leisten.
Helma erstarrte förmlich, als sie den weißen Schaumteppich sah. Sie verpasste mir ein Mittel gegen Übelkeit, und kurz darauf erschien ein völlig verwirrter Professor Mennert.
Er seufzte tief. »Kam diese Übelkeit plötzlich?«, fragte er nach einem tiefen Seufzer.
Ich nickte. »Kurz nachdem ich die dicke, weiße Tablette genommen habe«, erklärte ich ihm. »Das geht schon die ganzen Tage so, ich wollte nur nicht –«
»Welche dicke, weiße Tablette?«, unterbrach er mich.
Jetzt, wo ich sie bereits geschluckt hatte, konnte ich sie nicht noch genauer beschreiben.
»Na, die dicke …«, stammelte ich mit wachsender Verzweiflung, »… die weiße …!«
Mennerts Gesichtsausdruck verwandelte sich in ein Mahnmal der Ratlosigkeit. Er bat Helma um den Therapieplan und ging ihn Punkt für Punkt durch. Helma stand am Fußende meines Bettes und trat nervös von einem Bein aufs andere. Ihre Hände umklammerten das Bettgestell so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Ich habe ihr nur das gegeben, was Sie aufgeschrieben haben, Herr Professor!«
»Das will ich hoffen.«
»Und dass ich einen Fehler gemacht habe, kann ich mir nicht denken.«
»Das will ich auch nicht hoffen, Schwester
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