Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Vogel zu zeigen. Zu denken gab mir das jedoch nicht. Stattdessen wiederholte ich laut und deutlich, die Chemie wäre an allem schuld, und die großen Kliniken müssten sich endlich darauf einstellen, Krankheiten auf »natürliche« Art und Weise zu heilen.
Und prompt erhielt ich die Quittung! Kurze Zeit später, Anfang Juni, litt ich plötzlich an Verdauungsstörungen, und das trieb das gesamte Personal in hellste Panik. Mir erschien das wie blanker Hohn. Da lag ich nun mit einer Krebsdiagnose, was niemanden sonderlich aufzuregen schien, aber kaum konnte ich nicht richtig sch…, schon waren alle auf den Beinen. Vereint standen sie vor meinem Bett und diskutierten über meine Fäkalien, als kreiste das gesamte Weltgeschehen nur noch um diesen einen Punkt. Mit gewichtigen Worten wurde das Problem im Team erörtert, und schließlich traf Mennert eine folgenschwere Entscheidung:
»Das Mädchen hat so viel Chemie im Körper«, sagte er, »bemühen wir uns also, dieses Problem auf natürliche Art und Weise zu lösen. – Wir versuchen es mit Weizenkleie.«
Da mir diese Weizenkleie nicht schmeckte, verweigerte ich ihren Genuss. Als ich schließlich auch noch einen Spezialisten, Doktor Körber, mit Verbalinjurien überhäufte, verpasste man mir Psychopharmaka. Meine Mutter, die das merkte, empörte das sehr. Schließlich kam Vater der rettende Einfall: Er brachte mir Abführtabletten und Plastiktüten, in die ich die Weizenkleie schütten konnte. Als ich dann endlich wieder verdauen konnte, schrieb Professor Mennert diesen Erfolg natürlich seiner Weizenkleie-Therapie zu.
KAPITEL 14
Der Sommer war gekommen, ohne dass ich von Mennerts Angebot, ein paar Tage zu Hause zu verbringen, Gebrauch gemacht hatte. Stattdessen bat ich meine Eltern, sich nach alternativen Krebstherapien umzusehen. Dann aber ereigneten sich große Dinge.
Es begann mit Roswitha, die mir gleich am Tag ihrer Einlieferung auffiel. Sie war eine hübsche Frau mit leicht rötlichem Haar und tiefblauen, großen Augen. Sie war sechsunddreißig Jahre alt und litt an Lymphogranulomatose.
Roswitha Borgmann hielt sich zu Anfang natürlich für die einzig Gesunde auf S 1. Diese Phase der geistigen Umnachtung hatte ich selbst ja auch durchgemacht.
»Äh …«, erklärte sie mir bei unserem ersten Zusammentreffen, »… ich … ich habe ja schließlich immer gesund gelebt, äh, … ich bin nämlich Vegetarierin.«
»Wat isse?«, fragte Claudia sofort nach.
»Sie isst nur Gemüse!«
Claudia lachte laut auf. »Wieso dat denn?«, grölte sie. »Schmeckt dir dat? – Na ja, dann hasse ja vielleicht auch Spaß dran, dir dat Zeuch von unten anzugucken!«
Worauf Roswitha erklärte: »Ach!«
Diese »Achs« und »Ähs« zogen sich wie ein roter Faden durch Roswithas Aussagen. Man hing in der Luft, wenn man ihr lauschte und darauf wartete, dass sie den Satz zu einem wohlverdienten Ende bringen würde.
»Meine Herren«, meinte Claudia dazu, »die spricht, wie en Prostatiker pinkelt, hoffentlich denkt die nich auch so langsam, wie se spricht.«
Als Roswitha erfuhr, dass man ihr die Milz entfernen wollte, schien es, als träfe Claudias Befürchtung zu. Diese Frau dachte im Schneckentempo.
»Äh …«, begann sie, »… die, äh, … die wollen mir die Milz rausnehmen, äh, … aber, mmh, ach, … die braucht man so ja auch gar nicht.«
Wieder einmal hob Claudia an zu brüllen. »Meinse denn, die interessiert dat hier, ob du son Organ brauchs?«, lachte sie.
Roswitha beeindruckte das nicht weiter. Sie sagte »Ach ja!«, und zwei Tage später ließ sie sich die Milz herausnehmen. Diese Operation überstand sie mehr als gut, und als man sie auf S1 zurückgebracht hatte, legte Professor Mennert ihr seinen Chemotherapieplan vor.
»Ach«, meinte Roswitha dazu, »ich … äh … nein, das will ich nicht.«
Trotz mehrfacher langer Gespräche ließ sie sich von diesem Entschluss nicht mehr abbringen. Sie wollte sich nicht mit Chemie behandeln lassen, sie wollte in eine Spezialklinik für Naturheilverfahren.
Als ich das erfuhr, spitzte ich beide Ohren, und fortan nutzte ich jede Gelegenheit, um mit Roswitha allein zu sein. So mühsam es auch war, im Laufe der Zeit erfuhr ich doch manch wissenswertes Detail über diese alternative Behandlungsmethode. Roswitha hatte sich nämlich bestens informiert.
Doch so sehr die gute Roswitha mein Wissen auch erweiterte, ich blieb unschlüssig. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass hoch entwickelte Industrieländer Millionen in
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