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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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die Krebsforschung investierten, wenn das eigentliche Heil im Storchschnabelkraut lag. Dass diese Geschichte auch noch einen ganz anderen Aspekt hatte, erfuhr ich dann an dem Morgen, an dem Roswitha die Klinik auf eigene Verantwortung verließ.
    »Ich … äh … ich wollte mich verabschieden.« Sie stand in der Tür und lächelte so verlegen, wie es jeder tut, wenn er einen Abschied nimmt, bei dem ihm nicht ganz wohl ist.
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute!«, sagte ich höflich.
    »Ach ja!«
    Wir reichten einander die Hände, und alsdann schritt Roswitha auf Claudia zu, die im Bett lag und ihr den Rücken zudrehte. »Ach«, meinte Roswitha, »schläft sie?«
    »Nee!«, keifte Claudia. »Sie is ganz wach.«
    »Na, das ist ja … äh … schön.«
    »Dat is überhaupt nich schön«, schimpfte Claudia weiter, »so wat wie dich geb ich nämlich nich de Hand.«
    Roswitha war entsetzt. Sie blickte Hilfe suchend zu mir herüber, aber ich wusste auch nicht, was das zu bedeuten hatte. Claudia drehte sich inzwischen langsam um und griente.
    »Wovor hasse Angst?«, ging sie Roswitha an. »Hasse Angst, dat dir dein Kadaver an irgend ’ne Stelle wehtut, datte ’ne Glatze kriss, dat et kneift, zwackt und juckt? Hasse davor Angst?«
    Roswitha stand wie versteinert da. So hatte Claudia leichtes Spiel. Sie packte sie am Kragen und zerrte sie ans Fenster. Dann presste sie Roswithas Nase fest gegen die Scheibe.
    »Da!«, fauchte sie und wies auf die Kinderklinik. »Da guck hin! Du has keine Kinder, dat wo nich, aber guckse dir an, die Ströpkes da drüben, guck se dir an und stell dir vor, et wärn deine. – Wenn alle so dächten wie du, dann ging et denen da drüben inne Zukunft ma genauso beschissen wie uns heute. Lernen müssen de Ärzte, probieren müssen se, wenn se dat nich tun, dann gibt et in tausend Jahrn noch kein Mittel gegen en Krebs. – So, und wenn de jetzt immer noch einen auf Natur machen wills, dann hau ab! Dann vergess aber nich, dat du et bis, die einen von die Ströpkes da drüben auf et Gewissen hat.«
    Mit einer unwirschen Bewegung ließ Claudia ab von Roswitha und legte sich wieder ins Bett. Roswitha selbst kämpfte mit den Tränen. Erst nach einer ganzen Weile hatte sie sich wieder gesammelt. Sie nahm ihre Tasche und ging. Sie starb im Dezember 1977.
    Was Roswitha damals so gar nicht beeindruckt zu haben schien, ließ mich fortan kaum noch schlafen. Wann immer ich aus dem Fenster blickte und die Kinderklinik sah, musste ich an Claudias Worten denken. Es war vielleicht wirklich nur feige und bequem, der Schulmedizin durchs Netz zu schlüpfen. Man dachte dabei nur an sich und nicht an die anderen, oder gar an die, die nach uns kamen. Ich wollte nicht feige sein und erst recht nicht bequem. Trotzdem war ich mir selbst die Nächste, und an dieser Tatsache änderte auch meine Bewunderung für Claudia nichts, der ich eine derart idealistische Einstellung nicht zugetraut hatte. Ich hatte zwar von Anfang an gespürt, dass dieses hässliche Ding etwas Besonderes und Einmaliges war, aber erst jetzt kam ich dahinter, was das war. Diese Claudia Jacoby spielte die Egoistin par excellence, und in Wahrheit war sie die einzige Altruistin, die mir je begegnete. Claudia liebte die Menschen auf ihre Art.
    Zwei Tage nach Roswithas Entlassung entdeckte ich dann, wie ernst es Claudia mit ihren Ansichten meinte.
    Ihre Remission ging zu Ende, und ihr Kommentar dazu war schlicht und wie üblich geschmacklos. »Scheiße!«, sagte sie. Mehr nicht.
    Mennert lächelte daraufhin, als wäre das alles gar nicht so schlimm, wie sie dächte. »Echt?«, vergewisserte sie sich.
    Er nickte.
    »Und wat is et?«
    »Lassen Sie sich überraschen!«
    »Is ja geil!«
    Ich hatte weder diese mysteriöse Unterhaltung verstehen noch begreifen können, warum Claudia trotz beendeter Remission über das ganze Gesicht strahlte.
    »Was wird denn jetzt?«, fragte ich.
    »Wat schon!?«, erwiderte sie. »Therapie kriech ich, und dann nix wie inne nächste Remission und noch en paar Jährkes leben.«
    »Und?«
    »Nix und! Dat is so und basta!«
    Ich spürte sehr genau, dass Claudia mir etwas verheimlichte, und dieser Verdacht verstärkte sich noch, als Professor Mennert mit ihrer neuen Therapie begann. Sämtliche Gespräche und Behandlungen fanden hinter dicht verschlossenen Türen statt. Niemand wusste, worum es ging. Derweil wurde Claudia immer rüder. Sie duzte ihr unbekannte Universitätsprofessoren auf offener Szene und bombardierte sie mit verbalen

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