Zwei Frauen: Roman (German Edition)
sie schon für mich behalten, und das nur, weil ich nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Jetzt, da ich um ihre Existenz wusste, schmückte ich mich auch gleich mit ihr, denn merkwürdigerweise verlieh mir diese fremde Wut Kraft. Durch sie war ich endlich nicht mehr die kleine, zarte Eva voller Selbstmitleid, sondern die gefährliche, unberechenbare und rachsüchtige Eva. Das war ein gutes Gefühl.
Daniela fragte mich nach dem Grund meiner Verbitterung; ich zögerte und sagte dann, dass ich diesen Prozess des langsamen Sterbens nicht aushielt.
»Sie haben mich mal gefragt, was schlimmer wäre als der Tod«, sagte ich, »und ich habe geantwortet, nichts wäre schlimmer. Heute weiß ich es besser. Das Sterben ist schlimmer, dieser elende, zerstörerische Prozess des Vergehens. Er fängt an, aber er hört nicht auf.«
»Vielleicht erwartest du zu viel.«
»Ich erwarte gar nichts mehr«, erwiderte ich, »ich will nur noch …«
»Was?«
»Schon gut.«
Daniela sah mich lange und ruhig an, aber da ich nicht reagierte, stand sie schließlich auf und trat ans Fenster.
»Stell dir vor, ich wäre eine gute Fee!«, sagte sie dann. »Ich bin eine gute Fee, und ich gewähre dir die berühmten drei Wünsche. Wie sähen die aus?«
Das gefiel mir. Ich hielt es für ein Spiel, und da mein Spieltrieb von jeher ausgeprägt gewesen war, dauerte es nicht lange, bis ich mich so sehr in meine Wunschvorstellungen hineingesteigert hatte, dass ich Daniela tatsächlich für eine Zauberin hielt und fest daran glaubte, die Erfüllung meiner heimlichen Träume wäre nur von ihrem Augenklimpern abhängig.
»Ich möchte eine berühmte Primaballerina werden«, tönte ich begeistert, »mit einem festen Engagement am New York City Ballet und Gastspielen in aller Welt.«
»Aha … und der zweite Wunsch?«
»Ich möchte so reich sein, dass ich mir alles kaufen kann, was ich will. Und als drittes möchte ich lebenslang jeden weiteren Wunsch erfüllt bekommen.«
Daniela grinste. »Du bist gerissen wie ein alter Mafioso«, sagte sie. »Aber pass auf, die gute Fee hat einen Haken. Sie gewährt dir deine Wünsche nämlich nur, weil sie weiß, dass heute in einem Jahr die Welt untergeht. Was würdest du dann tun?«
Mit so etwas war eigentlich zu rechnen gewesen, aber ich ließ mich nicht beirren. Spontan erklärte ich, dass ich die verbleibende Zeit bis zum letzten Atemzug nutzen würde. Ich wollte Balanchine überreden, all meine Traumballette in einer Spielzeit auf den Plan zu bringen! Schwanensee, Dornröschen, Giselle und Romeo und Julia, Carmen, Le Corsaire und Der wunderbare Mandarin , alles hintereinander und jedes Mal ich in der Hauptrolle. Und mein Geld wollte ich verschleudern, dass der Hochfinanz nur so die Köpfe rauchten. Kleider, Pelze, Schmuck und teure Autos, ein Penthouse in Manhattan und eine Sommervilla in Florida. Ich wollte mir die verbleibende Zeit halt angenehm vertreiben.
Daniela hörte sich das alles schweigend an, und als ich fertig war, sah sie mir tief in die Augen.
»Die Fee hat dir noch etwas verheimlicht«, sagte sie, »heute in einem Jahr geht die Welt unter, und bis es so weit ist, wirst du in einer Zelle eingesperrt. Kein New York, Eva, kein Traumhaus am Meer, nur ein paar Quadratmeter Leben … was jetzt, Eva?«
Sie sprach sehr gedehnt, und das machte mich aggressiv.
»Was jetzt?«, wiederholte ich scharf. »Statt mich das zu fragen, sollten Sie mir lieber einen Revolver geben, damit ich mich erschießen kann.«
Daniela schmunzelte.
»Weißt du, was Lebensgier ist?«, fragte sie mich.
»Sicher!«, erwiderte ich schroff.
»Und Todessehnsucht, Eva, weißt du, was das ist?«
»Ja!«
»Dann erklär mir den Unterschied!«
»Ich bin doch nicht blöd!«, keifte ich sie an.
»Würdest du dich denn als gierig nach dem Leben bezeichnen?«
»Nein.«
Daniela lachte laut auf. »Du willst Ruhm, Reichtum und berechenbares Glück vom Leben und hältst dich nicht für gierig?«
»Ich will nur, was mir zusteht!«, sagte ich.
»Und du glaubst, das alles stünde dir zu?«
»Ja, aber ich bekomme es ja nicht.«
»Und deshalb willst du tot sein?«
»Ja!«
»Merkst du nichts, Eva? Deine Gier nach dem Leben bestimmt deine Sehnsucht nach dem Tod. Du hast solchen Hunger, dass du fürchtest, du könntest nicht satt werden. Deshalb vernichtest du dich lieber gleich. Nicht wahr, Eva? Das ist doch deine Konsequenz, auf die du sogar noch stolz bist.«
Ihre Worte trafen mich bis ins Mark. Ich spürte ganz deutlich, dass
Weitere Kostenlose Bücher