Zwei Frauen: Roman (German Edition)
…«
Für einen kurzen Augenblick war es still im Raum, und ich nutzte diese Stille, um mir klar zu machen, dass ich so ein Leben als jugendlicher Greis nicht würde durchstehen können.
»Lass dat Treten auf de Tränendrüse sein!«, keifte Claudia mich an. »Dat bringt et nich, Eva! Lass et!«
»Iiich kaaan aaaber niiicht!«, schluchzte ich auf Kommando.
» Doch!!! Du brauchs bloß aufhörn, um dat zu flennen, watte nich mehr has und auch nich mehr kriegen kanns, und du brauchs bloß endlich anfangen, dich für all dat zu entschädigen!«
»Wie denn???«
Sie sah mich an, als hätte ich die dümmste Frage aller Zeiten gestellt, sodass mein Tränenstrom vor lauter Schreck sofort versiegte.
»Sag mal!«, stammelte ich dann nach einer ganzen Weile, »wie … wie wäre das denn, wenn … wenn wir uns zusammentäten … du und ich …«
Claudia knurrte. »Dat hab ich ja von Anfang an gesacht«, tönte sie und zündete sich dabei eine Zigarette an, »aber du wolltes ja nich.«
»Jetzt will ich!«
»Ährlich?«
Ich nickte.
»Und den Unterschied, von den du immer gelabert has?«
Ich musste lächeln. »Den kenne ich jetzt endlich.«
»Ach nee?«
»Er ist rein oberflächlicher Natur.«
»Wat is er?«
»Na ja«, erklärte ich ihr, »wenn für mich der Schnee in sanften Flocken auf die Erde sinkt, ist es für dich schlicht matschig, und glaube ich, im Klang eines großen Orchesters himmlische Fanfaren zu hören, ist es für dich nur laut.«
»Dat stimmt!«, gab Claudia zu, und damit waren wir dann endgültig »Partner«.
Binnen weniger Tage setzte ich meine Idee, gemeinsam mit Claudia das Enfant terrible zu spielen, in die Wirklichkeit um. Der erste Schritt bestand darin, dass ich meine gesamte Nachtwäsche weggab. Um der Welt zu zeigen, wie ich mich fühlte, musste ich sie erst einmal dazu bringen, mich mit meinen Augen zu sehen. Für diesen Zweck waren die seidenen Schals, unter denen ich bisher meine Glatze verborgen hatte, denkbar ungeeignet.
Aus der Orthopädie ließ ich mir eine Bandage besorgen und aus der Neurochirurgie ein OP -Mützchen. Während ich mir das nun mit flinken Bewegungen um den kahlen Schädel wand, schielte ich zu Claudia herüber. Die schien zufrieden mit mir zu sein.
Meine Mutter hingegen war sprachlos, als sie mich in meiner neuen Aufmachung sah.
»Na?«, zischte ich sie an.
Traurig schüttelte sie den Kopf. »Nein, Eva«, seufzte sie dann, »dir kann keiner mehr helfen.«
Ich war begeistert. »Na endlich!«, jubelte ich. »Endlich hast du es begriffen.«
Aber sie schüttelte nur noch trauriger den Kopf und ging.
Kaum war sie draußen, als Claudia mir bereits erste Verbesserungsvorschläge unterbreitete.
»Du dafs nich zeigen, datte ne Reaktion wills«, belehrte sie mich. »Nich Na? fragen oder so. Du muss dich deine Sache ganz sicher sein und so tun, wie wenn dich dat en Scheiß intressiert, wat die andern denken. Verstehse?«
Ich verstand. Ich hatte eben noch vieles zu lernen, aber ich zeigte mich lernwillig.
In weniger als drei Tagen kannte ich über die Hälfte ihrer ärgsten Flüche auswendig und lernte, wie sie zu rauchen. Auch das fiel mir nicht schwer.
Mein Umfeld reagierte höchst unterschiedlich auf diese Veränderungen. Doktor Behringer versuchte es beispielsweise mit hoher Philosophie.
»Ein Schwan«, erklärte er mir, »ist auf dem Wasser ein hinreißendes Tier. Aber an Land? Sie, Eva! … In dieser Aufmachung! … Mit dieser Raucherei!«
Schwester Gertrud griff derweil zum Trickkästchen der Vernunft.
»Wissen Sie eigentlich wirklich, was Sie damit erreichen wollen?«, fragte sie mich. »Diese Garderobe ist hässlich, Rauchen macht hässlich … was soll das also?«
Demgegenüber zeigte sich Schwester Helma erwartungsgemäß empört. Sie führte sämtliche Vorschriften an und schimpfte wie ein Rohrspatz, weil die OP -Kittel angeblich nur Mittellosen zustünden und nicht solchen »Personen« wie mir. Der Einzige, der es mit Humor trug, war Professor Mennert. Er erklärte meine neuen Nachtgewänder zur Karnevalskostümierung, und als er mich bei der Visite rauchend erlebte, lachte er laut auf. »Tut mir Leid«, meinte er dann, »aber so originell das auch wirkt, … der Anblick kommt mir irgendwie bekannt vor.«
In den folgenden Tagen drehten wir die Musik – Claudias Udo Jürgens und meinen Tschaikowsky, synchron auf zwei Stereoanlagen abgespielt – so laut auf, dass Professor Mennert unsere Plattenspieler konfiszierte. Dann gingen wir dazu über, mit
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