Zwei Frauen: Roman (German Edition)
ich laut aufgeschrien, aber ich schloss nur die Augen und flüsterte wie ein verängstigtes Kind: »Nicht sterben?«
»Nein«, erwiderte Doktor Behringer, »nicht sterben!« Dabei lächelte er wie ein Entwicklungshelfer, der einem drei viertel Verhungerten eine Schale Reis in die Hand drückt, und mir wurde ganz schlecht bei diesem Anblick. In meinem Kopf hämmerte es nur so, ich hatte Mühe, Luft zu bekommen, meine Kehle war trocken.
»Sie Schwein!«, schrie ich plötzlich und wunderte mich selbst darüber. »Sie verdammtes Schwein! Sie haben ja keine Ahnung!«
»Aber, Eva …«, stammelte Behringer.
»Eine Überraschung soll das sein? Eine Tragödie ist das!«
»Eva …!«
» Nicht sterben , Sie Schuft, das heißt so leben ! In Ihren Augen ist das vielleicht besser als der Tod. In meinen Augen bedeutet es aber, lebendig begraben zu sein. Haarlos und ausgemergelt werde ich über die Gänge schleichen und bei jedem Spielfilm mindestens dreimal vor Erschöpfung einschlafen. Das nennen Sie Leben, Sie Mistkerl?«
Ich hatte so laut gebrüllt, dass meine Stimmbänder schmerzten. Doktor Behringer trug es mit Fassung. Er wirkte zwar ein wenig hilflos, aber ruhig, und das erregte mich nur noch mehr. Als er dann auch noch nach meinen Händen griff und mir mit ärztlicher Vertrautheit kommen wollte, war es endgültig geschehen.
»Schauen Sie«, flüsterte er noch, »ich kann mir schon denken –«
»Nichts können Sie sich denken«, schnitt ich ihm sofort das Wort im Munde ab, »nichts, sonst säßen Sie nicht hier mit Ihrer Überraschung. Wie lange wird es dauern, bis Sie die nächste Hiobsbotschaft für mich haben?«
»Ich …«
»Tut mir Leid, Eva!«, keifte ich mit überschlagener Stimme. »Wir haben uns wieder geirrt, Eva, nun müssen Sie doch sterben, Eva. – Wie lange, Doktor Behringer? Bis morgen? Bis übermorgen? Bis nächste Woche? Bis nächstes Jahr? Worauf soll ich mich einstellen, Herr Doktor Behringer? Auf das Leben? Auf das Sterben? Oder auf so ein Zwischending wie Chemotherapie?« Ich keuchte nur noch so, und zugleich rannen mir die dicken Tränen über die Wangen. Behringer schien ratlos zu sein.
»Eva«, flüsterte er nur, hörbar entkräftet von meinem Monolog.
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, gab ich zurück.
»Nein. Sie müssen –«
»Nach dem Strohhalm greifen, den Sie mir da hinhalten?«, fragte ich sofort. »Nach diesem fadenscheinigen Strohhalm?«
»Ja.«
Ich lachte böse auf. »Damit ich noch mal auf die Schnauze falle, ja?«
Er blieb ganz ruhig. »Vielleicht fallen Sie ja nicht, Eva. Vielleicht schaffen Sie es ja. Versuchen Sie es!«
»Nein!«
Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Frieden in mir, denn ich hatte mich entschieden und war mir dieser Entscheidung auch ganz sicher. Doch dann blickte ich in Behringers Augen und sah die Hoffnung darin, den Glauben.
»Sie wollen mich zwingen«, hauchte ich kaum hörbar und doch mit all der Verachtung in der Stimme, die in diesem Moment in mir war. »Sie wollen mich dazu zwingen, etwas zu versuchen, was ich nicht will, nicht will, nicht will …«
Außer mir vor Zorn hob ich die Hände, ballte sie zu Fäusten und schlug auf Behringer ein. Der konnte diese »Hiebe« zwar bei seiner Statur nicht ernst nehmen, musste sie aber trotzdem abwehren. Deshalb dauerte es geraume Zeit, bis er meine beiden Arme endlich im Griff und mich im Visier hatte.
»Mädchen …«, meinte er dann, und das klang so mitleidig, dass ich mich ein letztes Mal aufbäumte und schrie, dass es nur so schallte.
»Raus! Verschwinden Sie! Machen Sie, dass Sie rauskommen!«
Er schluckte. »Gut, Eva … ich gehe …« Zögernd stand er auf. »… Nur eines noch … Professor Mennert und ich hielten es für vorteilhaft, wenn Sie das Weihnachtsfest zu Hause verbringen würden. Bei Ihren Eltern. Aber das können Sie sich ja noch überlegen. Sie haben Zeit.«
Langsamen Schrittes ging er zur Tür, und ich hoffte schon, es jetzt endlich hinter mir zu haben, als er sich doch noch einmal umdrehte, ein letztes Mal.
»Ach ja, Eva … noch etwas … Fräulein Römer möchte noch mal mit Ihnen sprechen … jetzt gleich … sie erwartet Sie …«
Dann ging er hinaus, und ich, die ich mich bereits von dem, was in der letzten halben Stunde auf mich eingestürmt war, grenzenlos überfordert fühlte, ich konnte mir bildhaft vorstellen, was mit mir passieren würde, wenn ich mich jetzt auch noch auf Daniela einließ: Ich würde zusammenbrechen. Da ich das nicht wollte, zwang ich
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