Zwei Frauen: Roman (German Edition)
und die menschliche Rasse!«
Ich nahm mir das OP -Mützchen vom Kopf, wickelte die Bandage ab. Auf meinem kahlen Schädel tanzten rote Flecken, ebenso auf meinen Wangen, auf der Stirn, sie juckten. Da wusste ich plötzlich, dass so etwas wie ich nicht weiter nachzudenken brauchte. Die Frage nach dem Leben hatte sich von allein beantwortet. Es war ein Gottesurteil. So etwas wie ich gehörte unter Verschluss, für immer, bis zum bitteren Ende. An mir war nichts mehr zu retten, und dass man sich an mir verdient machte, wurde ich zu verhindern wissen. Das nahm ich mir vor. Ich wollte nicht zu einem jener hirnlosen Fleischhaufen werden, von denen es hier in der Klinik schon genug gab.
Sie wurden mit Gewalt am Leben erhalten, konnten ruhig sabbern und in die Matratze scheißen, blind, taub und lahm werden, Hauptsache, sie lebten. Selbst wenn man nur noch grunzen konnte, wurde alles Menschenmögliche getan. Und warum? Weil ihre Angehörigen und die Ärzte sonst nicht ruhig schlafen könnten. Weil sie die hirnlosen Fleischhaufen nämlich nötiger brauchten als umgekehrt. Die waren ihr gutes Gewissen!
»Aber dazu gebe ich mich nicht her, Fräulein Römer, eher hänge ich mich auf!«
Direkt vom Badezimmer war ich in Danielas Büro gestürzt, so wie ich war. Jetzt stand ich vor ihr in all meiner Pracht und war erstaunt, wie sehr sie dieser Auftritt aus der Fassung brachte.
»Was willst du denn?«, schrie sie mich an, kaum dass ich mal Luft holte. »Sag es mir, Eva! Was willst du mit deinem Verhalten erreichen? Was verlangst du von den Menschen? Von mir! Von dir selbst! Was?«
Ihre Stimme war immer lauter geworden. Dennoch schien mir auch Unsicherheit darin mitzuschwingen. Umso größer wurde meine Sicherheit. »Ehrlichkeit!«, antwortete ich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich will, dass ihr alle mich mit ehrlichen Augen anseht und mir ehrlich ins Gesicht sagt, wie hässlich und wie verabscheuungswürdig und wie krank und wie lebensuntüchtig ich bin. Ich will, dass ihr zugebt, wie sinnlos es wäre, wenn ich weiterleben würde.«
Daniela saß stumm da und sah mich an. Dann holte sie tief Luft und erklärte: »Du bist verrückt!«
»Oh nein!«, erwiderte ich, »ich bin nicht verrückt. Ich kenne nur die Welt und die Menschen, und ich habe meine Prinzipien, Fräulein Römer.«
»Und wie sehen die aus?«
Ich setzte mich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch und sah sie fest an. »Das kann ich Ihnen gern erklären«, sagte ich. »Die Amerikaner nennen es the survival of the fittest , davon habe ich immer sehr viel gehalten. Wie in der Natur muss auch bei uns Menschen das Schwache weg, damit das Starke gedeihen kann. Das habe ich früher so gesehen, als ich stark war … und das sehe ich heute nicht anders. Obwohl ich heute schwach bin. Ich bin nämlich … schwach und krank und hässlich – und deshalb muss ich weg!«
Meine Worte waren nicht nur so dahingesagt. Niemand wusste das besser als Daniela. Gerade deshalb war sie wohl so entsetzt, die Farbe wich aus ihrem Gesicht, und es dauerte lange, bis sie sich wieder gesammelt hatte.
»Du bist so hart geworden«, flüsterte sie dann.
»Das war ich immer schon.«
»Nein, Eva, früher hast du dich nur so gegeben, aber heute? … Ich glaube, einem so harten Menschen wie dir bin ich noch nie begegnet. Viele Menschen sind hart zu anderen … aber zu sich selbst? … nein!«
»Man kann im Leben aber nicht mit zweierlei Maß messen.«
»Die meisten tun es aber, Eva.«
»Ich nicht!«
»Nein … du wohl nicht …«
Sie schaute mich an, aber mir kam es trotzdem so vor, als blickte sie eigentlich durch mich hindurch. Dann nahm sie plötzlich ihre Armbanduhr vom Handgelenk und legte sie mitten auf den Schreibtisch. Sie forderte mich auf, ihr jetzt fünf Minuten ruhig zuzuhören:
Ich hatte Daniela noch nie in einem Monolog erlebt. Einen solchen hielt sie mir aber jetzt, und da jedes ihrer Worte traf wie ein Faustschlag ins Gesicht, wurden diese fünf Minuten zu einer qualvollen Ewigkeit.
»Du bist krank«, begann Daniela, »daran gibt es nichts zu deuteln. Du bist sogar sehr krank. Und dass du hässlich geworden bist, stimmt auch. Aber deshalb bist du noch lange nicht Ekel erregend. Und erst recht nicht lebensuntüchtig. Im Gegenteil, ich bin noch nie einem lebensfähigeren Menschen begegnet als dir, Eva Martin. Und genau da liegt meines Erachtens dein Problem. – Weißt du, irgendjemand hat einmal gesagt: ›Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben.‹
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