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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Das ist ein Satz, Eva, der auf dich haargenau zutrifft. Dein ganzes bisheriges Leben war Disziplin. Du hattest ein Ziel, dafür hast du gearbeitet, du hast es erreicht. Hier ist das anders. Hier brauchst du Vertrauen, du musst an dich glauben, aber du darfst nichts von dir verlangen. Hab Hoffnung, aber zwing dich zu nichts! Ändere dich also, damit du die Gleiche bleibst … Ich weiß, dass das alles viel leichter gesagt als getan ist, aber ich weiß auch, dass du es schaffen könntest. Du musst nur richtig die Augen öffnen und die Hand ausstrecken, dann könntest du es sehen und fühlen! Das Leben, Eva! Dein Leben!«
    Das klang gut, das musste ich zugeben. Es klang sogar sehr gut, leider ein bisschen zu gut. So sah ich sie nur an und schüttelte heftig den Kopf. Damit schien Daniela gerechnet zu haben.
    »Gut«, meinte sie mit unverminderter Sanftmut, »wenn du es absolut nicht willst: Bitte! Du kannst diese Klinik verlassen und damit deinen Krebs sich selbst überlassen. Alles andere ergibt sich dann, auf ihn kannst du dich verlassen.«
    »Auf wen?«
    »Auf den Krebs, Eva! Er ist sehr zuverlässig …«
    Dieser Zynismus behagte mir ganz und gar nicht, aber bevor ich mich beschweren konnte, stand Daniela auf und ging bedächtig zur Tür. »So, Eva«, sagte sie dann mit ungewöhnlich harter Stimme, »und jetzt geh bitte!«
    »Wie?«
    »Du sollst gehen, und ich möchte dich bitten, erst wiederzukommen, wenn du dir Klarheit verschafft hast.«
    »… Was?«
    Sie lächelte. »Du hast jetzt die Wahl«, sagte sie, »eine einmalige Chance. Denk nach, Eva! Denk über das Leben nach! Denk über das Sterben nach! Und dann entscheide dich!«
    »Und dann soll ich wiederkommen?«, hakte ich ungläubig nach.
    »Wenn es dich dann noch gibt!«
    Ich war sprachlos. Da lag etwas in ihrem Blick, was mich zu bedingungslosem Gehorsam zwang. Also ging ich mit winzigen Schrittchen an ihr vorüber, auf den Gang hinaus. Im gleichen Moment fiel die Tür hinter mir auch schon ins Schloss, und ich stand da – ausgesperrt!
    Daniela Römer machte ernst. Ich durfte ihr Büro nicht mehr betreten, sie wollte mich nicht mehr sehen, und das hatte für mich schwer wiegende Folgen. Zu ihr war ich in den letzten Monaten geflüchtet, wenn ich mit mir und meiner Lage gar nicht mehr hatte fertig werden können, bei ihr hatte ich mich ausgeweint, an ihr hatte ich mich abreagiert. Diesen Notausgang für meine Gefühle gab es jetzt nicht mehr. Ich musste allein über die Fragen, die Daniela mir gestellt hatte, nachdenken, verlor mich aber dabei in immer abstrakteren Gedankengängen über den Tod, über das Geheimnis des Lebens … Dann begann ich, Bilanz zu ziehen. Ich blickte zurück auf mein bisheriges Leben und stellte mir jene verhängnisvolle Frage, die sich wohl jeder Mensch irgendwann einmal stellt: »Hat es sich gelohnt?«
    »Nein!« , lautete die spontane Antwort. Statt zu leben, hatte ich den größten Teil meiner Zeit voller Hingabe dem Ballett geopfert.
    »Und trotzdem«, sagte ich zu Claudia, »einmal war ich glücklich, daran erinnere ich mich noch ganz genau. Ich war noch ein kleines Mädchen von sieben oder acht Jahren. Es war im Urlaub in Italien an einem stürmischen Tag. Ich hatte in den Wellen getobt, hinterher wickelte Mama mich in eine Wolldecke, und Papa setzte mich in die Hollywood-Schaukel. Da saß ich dann zwischen meinen Eltern auf der Terrasse, vor mir auf dem Tisch stand eine Tasse mit dampfendem Kakao, die Brandung des Meeres dröhnte mir in den Ohren, und der Wind peitschte mir ins Gesicht …«
    »Na und?«
    »Da war ich glücklich, Claudia, das weiß ich noch ganz genau. Es war zwar nur ein kurzer Augenblick, und ich war auch noch ein Kind, aber trotzdem wusste ich schon damals, dass das, was ich empfand, Glück war.«
    »Eima in neunzehn Jahrn?« Claudia war sichtlich entsetzt.
    »Ja …«
    »Mehr wa da nich?«
    Ich überlegte angestrengt. »Nein …«, sagte ich nach einer ganzen Weile, »… aber ich glaube, es war meine eigene Schuld, dass es nicht mehr war.«
    »Wieso dat denn?«
    »Na ja, ich hätte bestimmt eine Menge aus meinem Leben machen können, aber ich habe ja immer nur Pirouetten gedreht.«
    »Bereuse dat etwa?«
    »Ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Aber ich bereue all das, was ich nicht getan habe.«
    Die Spontaneität, mit der ich das aussprach, erschreckte mich. Bisher hatte ich gar nicht gewusst, dass ich eine so kritische Einstellung gegenüber meiner Vergangenheit hatte. Claudia hörte indes

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