Zwei Geschichten von der See
alle hingen von ihm, von seinem Kommandowort ab.
Aber ein Kommandant hat nicht das Recht, sich durch Sympathien leiten zu lassen, er muss unverbrüchlich seine Pflicht erfüllen. Zwar hatte er für geheime Berufsspieler immer etwas übriggehabt, für Leute, die von dem schwierigen, riskanten Metier markierter Kartenspiele, von Maschen und Mätzchen, vom Vertauschen der Karten, von der Schnelligkeit der Hände und des Denkens lebten. Er hatte in seinen Bohème-Jahren mit mehreren von ihnen verkehrt, er hatte sie großzügig und auf ihre Weise treu gefunden, sie verstanden eine Schlappe einzustecken, wenn ein scheinbar belangloser Vorfall auf einmal der unablässigen Gefahr mit Beleidigungen, Krawall und Kittchen ein Ende machte. Er war bei ihnen in die Lehre gegangen, hatte sich ihre Kunstgriffe in gemeinsam verbrachten Bummelnächten abgeguckt. Wäre er nicht Kommandant, stünde er nicht als Kapitän auf seinem Schiff, hätte er nicht eine Pflicht zu erfüllen, Stênio könnte seinetwegen die Taschen sämtlicher Fazendeiros, Industrieller, Kaufleute, Zuckerfabrikanten nach Herzenslust leeren, es wäre ihm gänzlich piepe, er würde nur in sich hineinschmunzeln und dem geriebenen Taschenspieler vielleicht verständnisinnig zublinzeln. Aber ein Kommandant ist nicht Herr seiner Zu- und Abneigungen. Er muss darauf achten, dass seine Fahrgäste gegen die Gefahren der See und die schlimmen Überraschungen der Welt gefeit sind.
Er hatte das Porzellansofa mit dem rosigen handverschränkten Liebespärchen Stênio weggenommen, der es nicht gestohlen, sondern durch reines Glück, ohne Mätzchen, gewonnen hatte. Aber was hätte dieser mit dem kleinen Meisterwerk angefangen? Sicherlich war er wie der Kommandant ein Mann ohne Heim und Familie, ohne festen Wohnsitz, ein Spielball des Lebens. Er würde das kleine Wunderwerk in einem Hurenzimmer lassen, in der Hand der ersten besten Metze, mit der er schlafen würde. Und Clotilde hatte es sich doch so sehnlich gewünscht …
Würde es noch Zeit sein, mit der Einsamkeit Schluss zu machen, dem langen Warten ein Ende zu setzen? Er war sechzig Jahre alt, hatte weißes Haar, er war nicht mehr so kräftig wie zu der Zeit, als er Ballen mit Trockenfleisch und Stockfisch, Fässer mit Butter schleppte, als er, ein Rudergänger ohnegleichen, das Ruder inmitten, von rasenden Orkanen hielt. Immerhin war er für sein Alter noch erstaunlich rüstig, sein Herz war das Herz eines Jünglings ohne Jugend, ungebrochen und fähig zu der großen, endgültigen Liebe seines Lebens. Ja, es war noch Zeit, es gab ein Haus am Strand, dessen grüne Fensterläden aufs Meer gingen, in dem nur die Hausfrau fehlte. Dort lebte ein Einsiedler, der ein ganzes Leben vor sich und eine Vergangenheit zu verschenken hatte, ohne einen Menschen zur Seite, der ihm dabei half, ohne einen Arm, auf den er sich stützen konnte, wenn der Weg enger werden sollte. Wie lange noch würde er den Kopf hochhalten können, wann würde die Traurigkeit ihn unterkriegen, wann würde er als Gefangener in den engen Mauern seiner Verlassenheit eingeschlossen werden? Ach, würde sie ihre edle Gestalt, ihre Musik, ihr Klavier, ihre reife, von ihm so begehrte Anmut, ihr üppiges Haar und ihr abgehacktes Lachen ins Vorstädtchen Periperi bringen; wäre sie bereit, in dem enttäuschten, bekümmerten Herzen den Keim einer neuen Liebe zu pflanzen, dann wäre es noch Zeit, das Gefängnis seiner Einsamkeit aufzubrechen und den Garten seines Ruhehafens kurz vor der letzten, endgültigen Reise noch einmal zum Blühen zu bringen. Der Altersunterschied war nicht übermäßig groß, er schätzte Clotilde auf etwa fünfundvierzig …
Erst jetzt, als er ihr begegnete, fühlte er, welch völliges Alleinsein, welch unendliches Warten sein Leben gewesen war.
Ein gedämpftes Geräusch wie ein schmachtender Seufzer kam mit der Brise von der anderen Seite, aus dem Dunkel des Rettungsbootes herüber. Der Kommandant, stets wachsam und auf dem Posten, spitzte die an die Stille und die Stimme der See gewohnten Ohren und trat gemessenen Schrittes näher. Nun sah er im Halbdunkel des Rettungsbootes die schlanke Schauspielerin und den prüden Senator, sie mit hochgezogenem Kleid ausgestreckt, er ohne Rock, zerzaust und bei der gelungenen Spielerei genießerisch stöhnend.
Nachdenklich zog sich der Kapitän zurück. Wollte er gerecht sein und mit unbeugsamer Strenge handeln, wie er es bei dem Falschspieler getan hatte, hätte er die beiden auseinanderreißen und vom
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