Zwei Geschichten von der See
Gatten und Vater gab es nicht.
Der Kommandant seufzte, nahm seine Porzellanminiatur und ging in den Nachtwind hinaus.
Vom Kommandanten, der in tiefe Träumerei versinkt, und was er dabei im Dunkel eines Rettungsbootes entdeckt
In jener frühen Morgenstunde stand der Kommandant an Deck, in tiefe Träumerei versunken. Er hatte die Biskuitfigur behutsam neben sich gestellt, dann und wann riss er die Augen von den Sternen los, die wie ein unendliches Festmahl die Träume nähren, und heftete sie auf das zierliche Pärchen auf dem Porzellansofa. Sein Leben war eine lange Einsamkeit, eine lange Erwartung gewesen. Auf den Meeren wie auch in diesem Augenblick, wenn er an seiner Pfeife zog, allein zwischen Winden und Irrlichtern, von Hafen zu Hafen, von Schiff zu Schiff, und von einer Frau zur anderen. Sein Heim war eine schmale Koje. Kein Tag war der Tag endgültigen Festmachens an einer Pier gewesen, auf der ihn eine Familie erwartete, eine sehnsüchtige Frau mit einer auf Geschenke aus exotischen Ländern erpichten Kinderschar. In keinem Hafen hatte er je eine feste Bleibe besessen, er hatte sein Haupt auf bezahlte Bordellkissen gebettet, er hatte sein glühendes Herz im Schoß unbekannter Dirnen ausgeruht, er war allein auf der Welt, allein mit seinem Schiff. Allein mit seinen Reisen.
Kann ein Mann so, ewig allein, leben? Sein Haus in der Rua dos Barris war seit dem Tod von Vater und Mutter – Gestalten, die sich in seinem Gedächtnis verwischt hatten – nie mehr ein Heim gewesen. Er war in einem Kontor und einem Lagerschuppen zwischen Fakturen und Ballen, zwischen Korrespondenz und Trockenfleisch aufgewachsen. Die Liebeleien aller jungen Menschen, der ängstliche Blick, das scheue Lächeln, das aus der Ferne zugewinkte Lebewohl, der hastige Händedruck, der hinter einer dunklen Tür geraubte Kuss – von alldem hatte er nichts erlebt, weder im Kontor noch auf See, wo er als Schiffsjunge die schönen stolzen weiblichen Passagiere beäugt hatte. Als der Tod des Großvaters ihn befreite, war er schon dreißig Jahre alt, er hatte die romantische Zeit der Seufzer, des süßen Leids, der Jungmädchenblüte verpasst. Selbst unter Freunden war er allein, und als er endlich einer von ihnen wurde, gingen sie fort, einer nach dem anderen, wie auch die Frauen fortgingen, die im Bett seines Hauses in Barris einander ablösten. Einige blieben länger, Dorothy hatte ihm ihren Namen und ihr Herz auf dem Arm hinterlassen, trotzdem waren sie wie Fahrgäste eines Überseedampfers, der weitergleitet in der endlosen Spur der Wasser. Was nutzten Weiberaffären, Abenteuer in Freudenhäusern, flüchtige Amouren in Pensionen, was unvermutete Leidenschaften auf den Überfahrten, betörende Nächte in Häfen voller Nebel und Geheimnisse? Liebe, beständige Liebe, die ein Heim, ein Leben gründet, die Kinder schenkt und damit einen Namen erhält, Gattenliebe, die Stimme eines Sohnes, der »Papa« ruft, ein Wuschelköpfchen, das der Vater an seine starke Brust drückt – all das war ihm nie vergönnt gewesen, immer hatte ihm die Zeit gefehlt. Er war immer allein gewesen, an Bord, auf seinen Reisen, im Schiffbruch, im Seesturm, in Meeresströmungen, in Winden und Zyklonen.
Jetzt, auf dieser seiner letzten Reise, war er wie ein Schiffbrüchiger, denn er wusste, dass es seine letzte Reise war, er würde nie wieder auf ein schwankendes Deck zurückkehren, er würde nur noch von den Felsen Periperis aus mit dem Fernstecher die ein- und auslaufenden Schiffe begleiten. Und immer einsamer, gebeugter von der Last seiner Erinnerungen, von der Bürde seines furchtlosen kühnen Lebens, ohne einen Lebensgefährten, mit dem er es teilen, bei dem er ausruhen konnte, es sei denn an der Schulter seiner mürrischen Köchin wie zu der Zeit, als er seine erste Begierde bei der Schwarzen Rosa in dem fensterlosen Kämmerchen des Geschäftsgebäudes am Fuß der Ladeira Montanha gestillt hatte.
Ja, schön und beneidenswert ist das Leben eines Kommandanten als Kapitän seines Schiffes, wie er es jetzt auf diesem ITA war. Zahllose Menschen hingen von ihm ab, viele Schicksale erfüllten sich in seiner mächtigen Hand, viel heiteres Lachen und viel unsinniges Hoffen. Einflussreiche Politiker, Großgrundbesitzer und Industrielle, verheiratete Frauen, die in ihrem friedlichen Alltag aufgingen, und die Freudenmädchen, gezeichnet von ihrem verdunkelten Zukunftshorizont, junge Menschen, die ins Leben traten, Falschspieler, die ihre Freiheit aufs Spiel setzten – sie
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