Zwei Geschichten von der See
Wolken, mit verschleiertem Blick, mit abwesend versunkenem Gesichtsausdruck.
Auf dem Rückweg zum Schiff mussten sie fast rennen, sie hatten sich länger in der Schule aufgehalten, als vorgesehen war. Die Leiterin erließ ihnen nicht die geringste Einzelheit, sie zeigte alles, erklärte alles, so stolz war sie auf das Institut, auf ihre Schülerinnen und deren Talente.
»Nun sagen Sie mir, Herr Kapitän: Haben Sie schon irgendwo auf Ihren Reisen etwas Ähnliches gesehen? Etwas Besseres oder Gleichwertiges?« Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern fuhr fort: »Es gibt nichts Vergleichbares auf der Welt. Selbst die Schweizer – ja, denken Sie nur: die Schweizer! – erkennen das an. Wir haben schon mehrere Anfragen aus der Schweiz über unsere Anstalt bekommen. Aus der Schweiz, jawohl, mein Herr!«
»Sehr beachtlich, in der Tat, äußerst beachtlich!«, stimmte der Kommandant zu, enttäuscht über die verpasste Gelegenheit, über jenen wie geschaffenen Augenblick, als Clotilde ergriffen die Schönheit des Strandes betrachtet hatte.
Aber abends nach dem Abendessen, als sie rasch durch den Salon gingen, wo sie das von einem geschickten Fachmann aus Natal endlich gestimmte Klavier ausprobierte, fragte Clotilde den Kommandanten, ob er nicht eine kleine Runde auf Deck mit ihr machen wolle.
»Heute ist Vollmond …«, sagte sie und lachte ihr kurzes Lachen.
Vascos Herz machte ein paar heftige Sprünge, die ersehnte Gelegenheit war gekommen. Sie erstiegen das verlassene Sportdeck.
Blutig und golden stieg der riesige Vollmond aus dem Meer.
»Schauen Sie nur …«, sagte sie, auf die Reling zugehend.
Der Mond entstieg den Wassern, in denen er geschlafen und geruht hatte, jetzt begann er seinen Rundgang, um Verliebte und Liebende am Strand und in den Straßen, am Kai Bahias, in verlorenen Häfen und auf Schiffsdecks zu belauschen. Das dickflüssige Öl des Mondscheins ergoss sich über die grünen nordöstlichen Gewässer, und die Winde des Nordostens, der Landwind aus Pernambuco, der Aracati aus Ceará, kamen aus Süden und Norden, um den Mond mit sanftem Gewoge zu begrüßen. In diesem Mondschein, in jener Zaubernacht, schwamm der Dampfer, als der Kommandant, hinter Clotilde stehend, ihre beiden Hände nahm und mit ängstlich liebevoller Stimme sprach:
»Clotilde! Ach! Böse Clotilde …«
»Böse, ich?« Sie erzitterte, und ihre Stimme war kaum ein Flüstern. »Warum sagen Sie das, Herr Kommandant?«
»Sehen Sie denn nicht, verstehen Sie denn nicht, fühlen Sie denn nicht?«
»Ich glaube nicht an die Männer …«
»Auch ich glaubte nicht an die Frauen … Aber jetzt glaube ich an Sie, ich vergehe vor Liebe …«
»Ich glaube nicht und habe Angst …«
Aber sie entzog Vasco nicht ihre Hände, sie lehnte sich an ihn und spürte seinen Atem. Ohne dass jemand gewusst hätte, wie es geschah – es war und blieb ein Meergeheimnis in einer Vollmondnacht, ließ sie ihren Kopf mit der kunstvoll aufgesteckten Frisur an die breite drachen- und ankergeschmückte Brust sinken. Er legte den Arm um ihre Taille, sie erbebte und seufzte. Dann drehte er sie zu sich um, ihre Lippen begegneten einander, ein langer Kuss folgte, der langgenährten, alten Liebeshunger junger Herzen stillte.
»Oh!«, seufzte sie, als sie, noch immer in seinen Armen, wieder atmen konnte. »Was hab’ ich nur getan, mein Gott? Wie schäme ich mich … Was wird jetzt nur geschehen?«
»Wir werden heiraten, wenn du mich haben willst …«
Nun erzählte sie ihm ihre traurige Erfahrung und den Grund ihrer melancholischen Jungfernschaft. Eines Tages hatte sie einen Mann geliebt und ihm ihr jungfräuliches Herz geschenkt, unschuldig hatte sie auf ihn gebaut. Er war Arzt, sehr reich, sehr berühmt, und aus Rio nach Belém gekommen. Er hatte wahnsinnig viel Patienten und konnte seinen Verpflichtungen kaum nachkommen. Er war die beste Partie in Belém und ganz verrückt nach ihr. Außerdem ein Musikkenner. Er spielte sogar etwas Klavier, sie musizierten vierhändig, ihre Seelen fanden sich in der Musik. Clotilde unterbrach ihren Bericht durch Seufzer. Sie verlobten sich, schworen einander ewige Liebe, einigten sich über den Hochzeitstermin. Damals war sie siebzehn Jahre alt, ein schüchternes, einfältiges Provinzmädel. Sie schenkte dem Arzt Herz und Hand, vertrauend auf seine Würde und seine Liebe …
Und was geschah dann?, fragte Vasco sich beunruhigt. Sicherlich missbrauchte er an einem jener Musikabende, an denen sie vierhändig
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