Zwei Geschichten von der See
spielten und die Familie vielleicht ausgegangen war, ihre kindliche Einfalt, tat ihr ein Unrecht an, machte sich aus dem Staub und überließ sie ihrer Enttäuschung und ihrer Schande. Aber bei ihm brauchte sie nichts zu befürchten. Er würde sie deshalb nicht weniger achten, im Gegenteil. Seine glühende Liebe würde nur wachsen, sein Entschluss, ihr die Gattenhand anzubieten, würde sich nur verstärken …
Vertrauend auf seine Würde und seine Liebe … Aber die Männer sind falsch, zumindest fast alle. Er möge sich vorstellen, was nun am Vorabend der Hochzeit geschah! … Sie sprach nicht gerne davon, sie riss damit nur eine schlecht vernarbte Wunde wieder auf, noch immer blutete ihr Herz: Am Vorabend also entdeckte sie, dass er in Rio ein junges Ding ärmlicher Abkunft – eine kleine Näherin, verführt hatte. Die Unglückliche hatte ein Kind bekommen, er schickte ihr jeden Monat Geld. Als sie von seiner Verlobung und der bevorstehenden Heirat erfuhr, schrieb die Betrogene an Clotilde einen Brief, in dem sie ihr alles erzählte und ihr Schicksal und das ihres Sohnes in ihre Hände legte. Was sollte, was konnte sie tun? Mit blutendem Herzen brach sie mit dem Arzt und forderte von ihm, dass er nach Rio zurückkehre und die Mutter seines Kindes heirate. Er tat’s. Heute ist er ein bekannter Arzt in Rio, reich und bedeutend, und ist jeden Nachmittag im Jockey-Club zu sehen. Das kleine Nähmädchen hat sich in eine große Dame verwandelt … Was sie selbst betraf, so schwor sie sich, ihr Herz nie mehr einem Mann zu schenken … Die ganzen Jahre hatte sie keinen Mann mehr angesehen. Aber auf dieser Reise …
Der Kommandant war über so viel Seelenadel, über so viel Opfermut tief ergriffen. Er war nicht würdig, auch nur den Saum ihres Kleides zu küssen. Da aber die Liebe den Menschen erhebt, erhob er sich bis zu ihren Augen, bis zu ihrem Gesicht und ihrem unersättlichen Mund und den Küssen unter dem Mond.
Auch er erzählte ihr die Gründe seines einsamen Daseins und warum er nie geheiratet hatte. Sie hieß Dorothy, der Kommandant trug ihren Namen und ein Herz als Tätowierung auf seinem Arm.
»Als Tätowierung? Die nie mehr herausgeht?«
»Nie mehr. Die Tätowierung wurde von einem Chinesen, einem Meister seines Faches, in Singapur vorgenommen.«
»Das heißt also, dass Sie sie nie vergessen haben und noch immer hinter ihr her sind!«
»Sie ist tot …« In jenem Augenblick tragischen Schweigens erschien Dorothys Silhouette im Mondschein, ihr schlanker Leib, ihr Liebesfieber.
Sie war vor der Hochzeit gestorben, am Vorabend der Trauung. Sie hatte soeben ihre Scheidungsurkunde erhalten, ihr Mann hatte endlich in die Scheidung eingewilligt …«
»Ah! Sie war also verheiratet …«
Ja, sie war verheiratet, als er sie an Bord der ›Benedikt‹, eines großen Passagierdampfers, der zwischen Europa und Australien verkehrte, kennenlernte. Es war eine fast so blitzartige und tiefe Leidenschaft gewesen, wie er sie jetzt, an Bord des ITA -Dampfers, für Clotilde empfunden hatte. Sie reiste mit ihrem Mann, aber was sind Konvention und Gesetze, wenn die Liebe ihr Recht fordert? Er gab sein Schiff auf, sie ihren Mann, sie gingen in einem verwunschenen Hafen Asiens an Land, um dort die Entscheidung ihres Mannes abzuwarten …
»Die Schamlose … Verheiratet! …«
Nein, Clotilde dürfe nicht ungerecht sein, sie dürfe Dorothy nicht falsch beurteilen. Es war zwischen ihnen ja nichts geschehen. Dorothy erzählte alles ihrem Mann und floh nur, weil ihr egoistischer Gatte nicht in die Scheidung einwilligen wollte. Sie waren nicht über ein paar keusche Küsse hinausgegangen. Sie schlüpfte im Hause einer heiligen Missionarin, Schwester Carol, unter, bis alles geregelt war. Erst nach der erfolgten Scheidung und neuen Heirat wollten sie einander gehören. Dorothy hatte es selbst so gewollt. Schließlich wurde die Scheidung ausgesprochen, die Papiere für die Hochzeit wurden gerade vorbereitet, als das Fieber, Asiens furchtbares Fieber, gegen das er immun war, ihr in drei Tagen den Garaus machte, ihr und seiner Laufbahn. Er war wie wahnsinnig, schwor, nie mehr ein Schiff zu betreten, und wenn er jetzt den ITA -Dampfer nach Belém führte, so nur, weil das Gesetz ihn dazu verpflichtete und er seine feierlich eingegangene Pflicht nicht verletzen konnte, da er nach glänzend bestandener Prüfung sein Kapitänspatent bekommen hatte. Das war der Grund, warum er nie geheiratet und sein Herz für immer
Weitere Kostenlose Bücher